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Aus »Hermann Sterl. Ekloge«.   Vers 68632 bis 68711

DRITTER AUFZUG. ERSTE SZENE


Der vordere Teil der Bühne ist durch einen Vorhang begrenzt, der die Moskauer Skyline zeigt. Zwei Ledersessel steigen aus der Versenkung. Zwei sehr nervöse Herrn nehmen Platz.


Ugol, Solotow.

UGOL: Es muß doch immer eine Lösung geben,
Sackgassen rings, ich werds nicht unterschreiben.
Die Kohle ist nur Gold, wenn wir sie heben –
Wer wollte da den Tag im Bettchen bleiben?
Abwickeln, Warten, Rumtaktiern und Beten?
Vielleicht ists besser, in den Wald zu laufen?
Ich halte nichts von Untergangs-Propheten,
Mir taugts, wenn ringsum die Turbinen schnaufen.
Es mag ja sein, es gibt auch mal Verluste
Und manchmal stürzt auch wer von einer Leiter,
Der Braten ist so kalt nicht wie die Kruste,
Das Leben geht doch immer wieder weiter.

SOLOTOW: Das Leben schon. Mit anderen Akteuren.
Der Zar ist tot und gibt uns keinen Orden.

UGOL: Ich kann die Litanei schon nicht mehr hören,
Ich frage mich: Was ist aus uns geworden?

SOLOTOW: Versuchen wir, historisch das zu lesen:
Der Rubelfall schlug dem Export die Schneise,
Gleichzeitig drückten Inder und Chinesen
Mit Billiglöhnen alle Weltmarktpreise.
Der Überschuß in Peking kaufte ständig
Die Staatsanleihn der Yankees, deren Schulden
Den Wohlstand hielten und das Volk lebendig –
Doch was, wenn die sich nicht mehr so gedulden?
Was wollt die Hypothekenkrise sagen?
Die Banker liebten solche Sicherheiten.
Doch Sicherheit kann den Kredit nicht tragen,
Hilft er nicht, eine Leistung auszuweiten.
Landauf landab ward nur Konsum gewonnen,
Da weiß ein Kind, kommt Tilgung nicht infrage,
Und bald ist auch die Sicherheit zerronnen,
Wenn allzuviel gepfändet wird am Tage.
Doch nicht genug, Jongleure mit Papieren
Verkauften die Verluste in Paketen,
So nannte sich ein Wertstück das Verlieren,
Doch niemand wagte, aus der Reih zu treten.
Dann strauchelt eine Bank, weil das Reale
Gefordert wird, das wich dem Virtuellen,
Nun zeigt sich, daß die goldverzierte Schale
Enthielt den Reibach nur, den allzuschnellen.
Wenn das System platzt, drauf wir stetig setzten,
So zeigt sich, daß Finanzen bloß Vertrauen,
Die Hunde beißen immerfort den letzten,
Der kann nicht mal mehr eine Hütte bauen.

UGOL: Vermag die Börse nichts mehr auszurichten,
So muß man auf den Binnenkreislauf hoffen,
Die Grenzen und die Währung abzudichten
Ist not, wenn Chaos strömt, wo alles offen.

SOLOTOW: Doch wer sich mit Exporten eingerichtet,
Und sich gefiel, wenn Wessis was verzehren,
Wird merken, wenn er jäh darauf verzichtet,
Daß sich die allerletzten Kassen leeren.
Dann gibts den Aufstand, weil das Brot zu teuer,
Die Werften schließen, und die Arbeitslosen,
Sie reden sich vor Langerweil ins Feuer,
Und dann gehts uns, den Reichen, an die Hosen.

UGOL: Was heißt hier reich, ich bin so gut wie pleite,
Der Stillstand darf nicht mehr sehr lange dauern.

SOLOTOW: Oho! Wenn intressierts in diesem Streite,
Sie werfen bald die Molos auf die Mauern.

UGOL: Sie ruiniern sich selbst, wenn die Elite
Sie massakriern, die Lagerhallen plündern.

SOLOTOW: Das sehn sie anders. Die verfreßne Niete
Ist kein Verlust. Der Vorrat sei den Mündern,
So heißts, verteilt wird dann im großen Rausche,
Da ists gering, daß manches wird zertreten,
Schluß mit den Bonzen und dem Warentausche,
Wir darbten allzulange in Gebeten.

UGOL: Wie wehrn wirs ab? Ich bin Familienvater,
Man muß sich wohl die ärgsten Sorgen machen,
Auf dem Vulkan? Bald explodiert der Krater –
Wie kannst du bloß bei dem Szenarium lachen?

SOLOTOW: Ich reise. Auf der Krim ist alles friedlich,
Bis Klarheit herrscht, dann werd ich wiederkehren,
Von dort erscheint der Volkslärm eher niedlich,
Ich hab nicht Lust, mich meiner Haut zu wehren.

UGOL: Ich sorge mich um Hütten und Fabriken,
Um Kupferbergbau, Kräne, Eisenbahnen,
Kann nicht wie du die Welt zum Teufel schicken
Und warten, bis die andern besser planen.
(Beide ab. Die Sessel verschwinden in der Versenkung.)