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Aus »Hermann Sterl. Ekloge«.   Vers 68491 bis 68631

ZWEITER AUFZUG. FÜNFTE SZENE


Sterl, Alienor.

STERL (nimmt die Samen in den Mund, kaut gründlich und spült mit dem Tee nach, der so lange unbeachtet stand):
Alienor kommt den Weg mit einem Wagen!
Mein Gott, ich laß sie ganz alleine schuften.
Ich hoff, die Stärkung schafft mir Wohlbehagen,
Wo ringsumher die Träume mir verpuften.

ALIENOR: Ich bringe unser Zelt und warme Sachen,
Auch hab ich Hühnersuppe hier im Topfe,
Der Spiritus vermags, sie warm zu machen,
Sonst steigt uns die Erschöpfung noch zu Kopfe.

STERL: Es war nicht recht, daß ich dir nicht gezogen
Den für die Frau zu voll geladnen Wagen.

ALIENOR: O nein, mit Reifen läuft er ungelogen
Von selber fast, so braucht man nicht zu tragen.
Ich denk, dein Wunsch, hier eine Nacht zu trauern,
Ist billig nach der Zeit, der Müh, dem Hoffen,
Ich muß noch stets bei dem Gedanken schauern,
Es hätt uns beinah ärger noch getroffen.

STERL: Nicht maßlos ist das Nehmen wie das Geben,
Weil wir, was uns zu groß ist, nicht verkraften,
Im Urteil wolln wir uns nicht arg verheben,
Da wir ja schon den kleinern Teil nicht schafften.

ALIENOR: Du hast ja nichts gegessen von dem Brote,
Ist dir der Tee so nüchtern auch bekommen?

STERL: Ich trank ihn als die Sonne grad verlohte.
Er wirkt, als hätt ich noch viel mehr genommen.

ALIENOR: So ist es gut, wenn wir das Zelt errichten,
Ich mach dann auf dem Kocher uns die Suppe.

STERL: Ich bin befreit von Sorgen und von Pflichten,
Und was mir ernst, das ward mir beinah schnuppe.
Laß uns noch mal um dieses Grundstück schreiten
Wie damals, als wir grade hergekommen,
Ich fuhr in einem Stück den Weg, den weiten,
Als Moskau schwand und alles schwieg beklommen.
Ganz übernächtig so wie heut geschunden,
Wir kamen an und gingen Arm im Arme
Mit mancher Narbe und mit offnen Wunden,
Vereint im Hoffen und vereint im Harme.
(Er umfaßt sie und schiebt sie mit sich fort.)

ALIENOR: Vielleicht bin ich gealtert mit dem Hause.
Mir scheints ich kam fidel und ohne Sorgen.

STERL: Grad so wie einst nach einer langen Sause,
So schritten wir durch einen kalten Morgen.
Wir waren da. Das zählte. Und zusammen.
Die Kinder schliefen auf den Hintersitzen,
Wir sorgten uns, die Tür nicht zuzurammen
Und stiegen aus grad wie auf Zehenspitzen.
Vom Tal drang Nebel schwer mit dichten Schwaden
Wie ein Geheimnis und ein Abenteuer,
Nun laß uns wieder im Geheimnis baden,
Im Schweigen, das uns überblieb vom Feuer.

ALIENOR: Merkwürdig rinnt die Rede dir vom Munde,
Du wachtest lang. Dies führt zu einem Rausche.
Die Mönche schätzen diese Hellsicht-Stunde,
Sie fasten, daß der Herr die Weiser tausche.

STERL: Ich fühle mich, wenn ich so mit dir schreite,
Es fiele von mir mancher schwere Packen,
Es duftet wundersam von deiner Seite
Und herrlich kränzt dein Haar den weißen Nacken.

ALIENOR: So sinnlich hast du lange nicht gesprochen,
Ich meinte gar, dies sei das Los der Ehe.

STERL: Hab ich dich früher bloß so fein gerochen,
Wie ich es jetzt zur Stunde hier verstehe!

ALIENOR: Was hat dich so begabt mit diesem Sinne?
Du schienst mir vorhin müde und erschlagen.

STERL: Du bist die Kraft, daß ich mich selbst beginne,
Dies ist der Sinn von allem Tun und Wagen.

ALIENOR: Wenn man uns hörte, sagte man: Verrückte!
Da ist verbrannt wohl alles, was sie hatten.
Was tun sie? Komplimente, ganz entzückte,
Bemühen sie wie frisch verliebte Gatten.

STERL: Wer niemals liebt, muß alle Liebe schelten,
Doch wer sie kennt, schilt keinen mehr als Toren,
Sie schafft, verschlingt, verwandelt alle Welten,
Und keine Krone reicht an deine Ohren.
Du bist mein Glück, mein Schweigen und mein Reden,
Du spulst den Faden, der mich führt zum Lichte,
Was du betrittst, das ist für mich mein Eden,
Dein Körper die unendliche Geschichte.
Sag, weißt du doch, wie wir uns erstmals trafen,
Ein Sommertag, so weiß wie die Korallen,
Ich seh es noch, es war nicht weit vom Hafen,
Zuerst war ich den Beinen bloß verfallen.
Dein Badeanzug war recht knapp geschnitten,
Mein Aug verwöhnt kam ganz auf seine Kosten,
Und bist mit solcher Anmut hergeschritten,
Daß ich so starr wie ein Paradeposten.
Wir haben später solche Werbungstänze
Verworfen wie die ganze Lebensweise,
Jedoch es kamen Herbste viel und Lenze
Und die Verrücktheit wurde doch nicht leise.
So denk ich oft, daß Gott doch seltne Wege
Beschreitet, um den Heilplan auszuführen,
Ich fand dich in dem sündigen Gehege,
Um dich als meine Heilige zu küren.

ALIENOR: Ob wir auch seine Wege nicht durchschauen,
So fühln wir doch die gnadenreichen Muster,
Der eine sagt, den Weg in diese Auen
Verdankst du deinem ordentlichen Schuster.
Der andre meint, es läg am guten Essen,
Und wieder einer schiebt es auf das Wetter,
Ich lauschte dir, als wäre ich besessen,
Du schienst vertraut mir grade wie ein Vetter.
Es war sofort beschlossen, was uns bannte,
Die Griechen nanntens Eros mit dem Pfeile,
Es war, daß ich dir meinen Namen nannte,
Und alles weitre kam in großer Eile.
Jedoch es war nicht eine blöde Grille,
Die mancher allem Hastigen bescheinigt,
Es war des Himmels unbedingter Wille
Und also ward das helle Blut vereinigt.

STERL: Und aus der Liebe wuchs das Unbehagen
An unsrer Wirtschaft und den falschen Werten,
Wir konnten es im Himmel nicht ertragen,
Daß sie die Erde drunten bös entehrten.
Ich suchte Macht, das Unheil abzuwenden,
Der Teufel war in diesem Fache schlauer,
Ich schuf uns ein Asyl mit bloßen Händen,
Es brannte ab bis auf die letzte Mauer.
Verzagtheit kam und bohrte mir im Herzen,
So wie ein Eiter in der Fingerkuppe,
Die Ausflucht suchte ich in schlechten Scherzen
Doch dann kamst du mit einer Hühnersuppe.
Die Liebe ist so morgenfrisch und heiter
Wie damals, als wir immerzu nur träumten,
Und immer wieder ging der Weg uns weiter,
Wenn wir den Schutt des Untergangs verräumten.
So wird sie uns auch heute weitertragen,
Ein Flügelschlag und hinter uns Äonen,
Wir werden nicht am Teufelsgroll verzagen,
Nicht fordern, jemand sollte uns belohnen,
Nicht fordern, daß man heb den alten Schleier,
Der Sterblichen der Unterpfand der Süße,
Wir wissen, alles Werk ist Lob und Feier,
Daß wir uns neigen, sind uns Kreuz und Füße.
Der Sonnenstrahl ist schon so viel der Gnade,
Daß uns das Leben wird zu kurz zu danken,
Kein Opfer ist für unsern Herrn zu schade,
Denn fern von ihm muß jeder Sinn erkranken.
Die Müh ist nicht ein Mittel uns zu heben,
Sie ist das Heil daselbst, führt sie die Liebe,
Drum wolln der Welt wir jede Schuld vergeben,
Wenn uns die Lieb die immergrüne bliebe.