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Aus »Der Mauerfall. Einakter«. Vers 65672 bis 65741 DRITTE SZENE Tina, Silke, der Dichter. Heiner kommt zurück. HEINER: Ihr glaubt ja niemals, wie die Leute unten Jetzt drauf sind und sich immer weiter steigern, Das ist nicht nur ein Schieben und ein Murren, Das ähnelt immer mehr dem Haun und Stechen: Sofort und jetzt, das ist der Schrei der Menge, Sie fordert eine Straße ohne Mauer. TINA: Wir streiten drum, obs Revolutionäre Befördert sei durch freies Gehn und Reisen, Der Dichter macht sich stark für kleine Staaten, Und Silke hälts für gänzlich abgehoben. HEINER: Ich fürchte, euer Streit wird bald entschieden, Wir müssen mit den neuen Fakten leben, Obs gut ist oder schlecht, das wird sich zeigen, Ich glaub, die Führung wird die Mauer öffnen. SILKE: Vielleicht wird das Triumphgeschrei bald weichen, Erstarrt von Schüssen in der klaren Nacht, Verwundete, die stöhnen, klagen, röcheln, Dann Panik, Flucht, erbarmungslos Getrampel, Vergeßt nicht, daß der todeswunde Löwe Nicht Hemmung kennt, wenn er die Pranke einsetzt. HEINER: Es hilft jetzt nichts zu zagen, zu orakeln, Schabowski hat der Presse heut verkündet, Es gäb zur Ausreis nicht Verzug und Prüfung, Auch sei ein jeder Durchgang zu benutzen, Ob Übersiedlung, ob Besuch und Urlaub, Das wurde im Tumulte ganz unkenntlich, Und also künden alle Rundfunksender, Die Grenze sei nun frei für alle Bürger. TINA: Dem ist nicht so, sonst würde diese Menge An der Bornholmer längst am Kudamm feiern, Hier weiß die Linke wenig von der Rechten, Und was das Radio sagt, ist meist gelogen. Dies alles freilich ändert nicht die Frage: Was meinst du, wirds mit offner Grenze leichter? HEINER (zögert): Ich weiß nicht. Eine große Unbekannte Ist die Gesellschaft, die man uns verhehlte, Wir sind im Vormarsch in Entscheidungsgremien, Landauf, landab entstehen Runde Tische, Mag sein, daß die im Westen die Strukturen, Die wir entwickeln, wirkungsvoll ersticken, Auch möglich, daß die Demos bald gestorben, Weil unsre Leute dann bei Aldi shoppen. Dies mag so sein und nicht, doch dies zu ändern, Hält für unmöglich, wer bemerkt, was los ist. DICHTER: Wenns nicht zu ändern, schlag ich vor, wir sprechen Dem Glühwein zu, eh man ihn uns verleidet, Vielleicht sind alle Träume Illusionen, Dies war seit je ein Argument zu trinken. SILKE: Der Glühwein, der ist wirklich fein, und Tina, Wenns noch Gelegenheit, so würd ich allzugerne, Dein Punsch-Rezept ins Tagebuch mir schreiben. HEINER: Ja, wenns Schabowski war, der diesen Abend Gewürzt mit seiner unsortierten Rede, Kannst das Rezept Schabowski-Glühwein nennen. CHORUS: Wie Muscheln, Schnecken, Krebse und Korallen, Trägt dieser Staat ganz außen Kreuz und Stütze, Und ist die Mauer von Beton gefallen, So gibt es nichts was Blut und Zellen schütze, Die Mauer gibt so manchem Glück und Leben, Manch wertvoll Ding wird ohne sie zur Scherbe, Doch rüttelt jede Hand an Mauerstreben, Ist eher möglich, daß der Weltgeist sterbe, Als daß nicht Mörtel bröckel und der Anker Sich lös, der uns den Status quo gehalten, Denn wie ein Leck in einem Erdöl-Tanker, Vermag ein Loch, den Zeitgeist umzuschalten. Wo tausende und mehr der Nacht vertrauen, Die liegen wie die Wächter auf der Lauer, Fällt die Entscheidung gänzlich wegzuschauen, Und um die Mitternacht da fällt die Mauer. |