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Aus »Der Mauerfall. Einakter«. Vers 65585 bis 65671 ZWEITE SZENE Tina, Silke, der Dichter. DICHTER: Wir werden auf die Kohlen etwas warten, Denn daß man einen Brief zum Kasten schaffe, Ist nichts geringes, hier, bei dem Gedränge. SILKE: Man hört die Leute noch im Hinterhofe, Grad so, als gält es heut und nimmerwieder, Das macht mir angst, ich weiß nicht recht, und bange. TINA: Vielleicht gibts Freibier noch zum guten Ende? DICHTER: Das ist nicht not, weil doch schon alle trunken. TINA: Na immerhin ists nicht nur Schaum und Lärmen, Als wir das Pflugschar-Bild an deinen Parker Einst nähten unds die Bullen runterrissen, Wär hätte da gemeint, daß die mal kneifen? SILKE: Mir scheint das Taumeln auf der Gegenseite, Als wartete im Schatten der Diskurse Ein starker Mann auf seine große Stunde. TINA: Du sahst doch, wie der Mielke sich gebärdet In Leipzig, die Soldaten einzuschwören Auf Terror, der in Peking funktionierte. Nur freilich ists in unserm Lande anders, Die Männer schießen nicht auf unsere Kinder. SILKE: Dies kann sich ändern, wenn das Chaos flutet, Auch die Chinesen warn erst unentschlossen, Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. DICHTER: Der Führungsanspruch der Partei war erstes Ziel des Protests, jetzt ists die feste Grenze, Da ist kein Ziel, das Alte zu beerben. TINA: Ich wüßte nichts, was diese Grenze gutes. DICHTER: Sie war für das Regime die Atempause, Die es nicht nutzte, Fuß im Volk zu fassen, Zerfällt sie, falln auch alle Möglichkeiten. TINA: In Hamburg und in Kreuzberg, da gibts viele, Die sind im Kampf viel weiter als wir Schwätzer, Wir haben hier erst durch den Flimmerkasten Gelernt, verfallne Häuser zu besetzen, Und wenn wir uns zusammtun, könn die Spießer Nicht ändern, daß die Zeiten sich halt ändern. DICHTER: Der Phantasie die Krone, wie poetisch! Doch leider sind oft die die Angepaßten, Die Che Guevara farbig plakatieren. TINA: Du argwöhnst stets, das Linke und Soziale Sei Popmusik und kollektives Kiffen, Ich denk dagegen, unsere Bewegung Schafft neues Fühlen, daß da Macht und Reichtum Wie Seifenblasen regenbogend platzen. SILKE: Ich denk da weniger an Regenbögen, Ehr schwarze Wolken, Sturmwind und Gewitter. DICHTER: Vielleicht ist alles möglich, vielleicht wenig, Doch um den Katzenjammer zu begrenzen, Wärs gut, man suchte Heil im kleinren Kreise. SILKE: Ja, Vorsicht ist das wichtigste, das klügste, Ich meine, daß wir schon zu weit gegangen. TINA: Du willst wohl wieder Honni und das Blauhemd, Im Stechschritt alle vor der Goldtribüne? SILKE: Nein, nein, ich hab das alles nicht vergessen, Und doch ist schlimm, daß man so gar nichts weiß. DICHTER: So ungewiß ist nicht der Gang der Sache, Der Mielke hat in Leipzig sich geoutet Als ganz debil und nicht fürs Strafrecht mündig, Das heißt, er hält die Sache für verloren, In Moskau ziert man sich noch eine Weile, Doch rufen es die Spatzen schon vom Dache: Das Kapital macht flott und packt die Koffer, Um einzusammeln die verlornen Schäfchen. TINA: Das hieße ja, wir machten diesen Leuten Die Drecksarbeit, doch hat sich der geschnitten, Der meint, wir stürzten nur die Funktionäre. Die Macht für niemand. DICHTER: Fahnen der Verneinung Sind harmlos für das Geld, das alle lieben, Willst du dem Gott des großen Geldes trotzen, So übe dich in Demut und Entsagen. CHORUS: Mit Stahlbeton, mit Todesschuß und Minen Vollzog der Bund aus Fortschritt und Geschichte Jahrzehnte, die darunter endlos schienen, Und machte jeden freien Blick zunichte. Dossiers und Akten würgten jeden Winkel, Daß klar dem Staat, wie wohl und arg das seine, Daß feststand, wo der Mops zufrieden pinkel Und wo der Dackel an der festen Leine. Die Mauer stand im Feld, in jeder Stube, Grad wie der Mann, der sie zur Nacht geschaffen, Der Maulkorb stand bereit, wenn da ein Bube Gemeint, ein Käfig wärs und voller Affen. Ein Leben in der offnen Welt, im Freien, Wir wüßten gern, ob die dort leben schlauer, Drum werden wir hier demonstriern und schreien, Bis wie ein Traum zerbricht und fällt die Mauer. |