Willkommen

Lebenslauf

Aktuell

Werke

Publikationen

Audio

Leserstimmen

Besucherbuch

Impressum
 
vorige Szene nächste Szene

Aus »Der Mauerfall. Einakter«.   Vers 65525 bis 65584

ERSTE SZENE


Ein verfallenes Bürgerhaus in der Nordkapstraße im Prenzlauer Berg in Berlin. Ein gut beheizter Kanonenofen in einem mit Postern behängten Zimmer. Darauf ein großer Pott mit Glühwein und einer Schöpfkelle. Vier junge Leute am Diskutieren. Zwei sind so angezogen, als wollten sie gleich wieder gehen. Ein Dichter tritt auf.


Heiner, Tina, Silke, Kalle, der Dichter.

DICHTER: Der Reif deckt Halme, Zäune, Fenstergläser,
Die Sonnenstrahlen glitzern abschiedsgolden,
Das Rednerwort versilbert sich zu Wölkchen,
Und seine Jacke schlingt man mählich fester.
Ists nicht die Zeit zu Einkehr und zu Stille?

KALLE: Du hättst zum Pfarrer bestens dich geeignet,
Doch wer im Streit liegt, wird Novemberwetter
Nicht deuten als Beginn vom Christbaumklingeln.

SILKE: Nun laß ihn doch, ihr müßt euch immer streiten,
Das ist ja grad wie unten auf der Straße,
Mir scheint, die haben alle kein Zuhause,
Sie schrein und fordern grad wie angestochen,
Ich fürchte, dies gibt bald ein großes Jammern.

HEINER: Vorgestern warf die Runde der Minister
Das Handtuch, das Gesetz, das Reisen regelt,
Soll diesen Schwätzern lang im Halse stecken,
Auch schloß die Staatspartei, die angeschlagne,
Die Greisentafel ohne Fehl und Tadel –
Wie wärs mit Trauer ums Politbüro?

TINA: Bevor du hier in Traurigkeiten schunkelst,
Geh lieber in den Keller mit dem Eimer
Und hol uns Kohlen, daß wir hier nicht frieren,
Du siehst, die Gäste sitzen hier in Mänteln
Und meinen, dieser Ofen machs nicht lange…

KALLE: Wer mag das wissen, wo sich alles ändert?

TINA: Es herrscht in diesem Punkte gar kein Mangel,
Doch Heiner hat den Hintern zu weit unten.

HEINER: Ist gut, ich geh.

TINA:           Und denk an meine Karte!

HEINER: Nun soll ich noch zum gelben Kasten laufen.
Die Weihnachtspost, und jedes Jahr wirds früher,
Warum nicht für das nächste Jahr gleich schreiben?

TINA: Vielleicht wirds unterm Neuen Forum anders,
Doch vorerst gilt für mich der alte Grundsatz,
Wer Weihnachtspost erst im Advent versendet,
Hat Freunde nur in Leipzig und in Dresden.
(zum Dichter):
Du nimmst dir?

DICHTER (sich einschöpfend):
                Gern. Wo Anis, Zimt und Nelke
Uns einlulln, sollst dem Weine stets vertrauen.

KALLE: Genug geschwätzt, ich habe noch Termine,
Das bleibt so, bis enttarnt die Stasiteufel
Und ein Museum die Normannenstraße.
Machts gut.

HEINER:     Gehn wir zusammen!

KALLE:                 Ja wir gehen. (Beide ab)

CHORUS: Von Kap Arkona bis zum Tiniussteine
Gedieh ein Lindwurm, der in jeder Klause
Das Unbehagen mischt dem Sonnenscheine,
Denn wer gefangen, fühlt sich nicht zuhause.
Mag anderswo auch Not und Dunkel drängen,
Der Mann im Kerker hält es für geringer,
Er fragt nicht länger in den Drachenfängen,
Ob einst die Freiheit ihm verbrenn die Finger.
Er starrt gebannt am Brandenburger Tore
Ob die Quadriga seinen Mut befeuer,
Und in den Straßen schwillt der Ruf zum Chore,
Zerschlagt das stacheldrahtne Ungeheuer,
Wir haben satt den abgeschirmten Krempel,
Die Wege, die mit jedem Tage grauer,
Wir wollen weder Paß noch Reisestempel,
Wir wollen eine Heimat ohne Mauer.