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Aus »Anna Luise. Trauerspiel«.   Vers 63124 bis 63215

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Anna Luise. Der Diener Johann tritt auf.

JOHANN: Durchlaucht, ich hörte Gehn und Türenschlagen,
Ihr hattet noch Besuch zu später Stunde,
Ich wußte nichts und hoff, Ihr werdt nicht klagen,
Ich schlief so fest und fand zu spät die Kunde.

ANNA LUISE: Es war die Post, ein Telegramm aus Franken,
Die Zürcher Freundin hierher auf dem Wege,
Ich hab ihr manchen Beistand zu verdanken,
Es lohnt nicht, daß ich noch ins Bett mich lege.

JOHANN: Besuch, gar Ausland, will uns überraschen,
Da hilft es nichts, hier lang herumzujammern,
Ich eile, einen Besen zu erhaschen,
Daß Ordnung werd im Flur und auf den Kammern.

ANNA LUISE: Nein, bleib ein Weilchen hier, wir werden frühe
Aufbrechen an die Schwarza und die Saale,
So bleibt dir Zeit genug für alle Mühe,
Bis wir dann müde kehrn zum Abendmahle.
Ich bin so melancholisch, kaum zu sagen,
Als wäre Herbst, die Wälder rot und mürbe,
Ich spüre ein Gespenst in meinen Tagen,
Als ob ich schon in nächster Zukunft stürbe.
Als Günther starb im Jahre fünfundzwanzig,
Da sah ich auch ein brennend Schiff versinken,
Da roch mir selbst der Talg der Lampen ranzig,
Und sommers schien das Ofenrohr zu stinken.
Ich mied als Kind und bis zum letzten Kriege
Die Advokaten und Gerichtsprozesse,
Dann als die Inflation wie eine Fliege
Mich arm gemacht, verging mir die Noblesse:
Der Günther hat es doch nicht mehr erfahren,
Daß ich das Recht erstritt, nicht mehr zu betteln,
Doch fürcht ich mit den angehäuften Jahren
Man springt noch schlimmer um mit alten Vetteln.
Als Hitler kam, die Sozis zu vertreiben,
Da meinten wir, er füge es ins Rechte,
Doch weiß ich meist ins Tagebuch zu schreiben,
Daß triumphiert auch heute nur das Schlechte.

JOHANN: Verscheucht die Schatten, die Euch schwarz umkreisen,
Denn Schwarzburg steht am Hügel ungebrochen,
Hier sangen Euch in schönster Zeit die Meisen
Und hier verlebtet Ihr die Flitterwochen.

ANNA LUISE: Das Leben läßt uns immerfort verlieren,
Mein Gatte, der ein zart Geschöpf, gab alles,
Er war an jedem Tage am Regieren
Und Demut war sein Wort zum Schreck des Falles.
Der Undank und die frech geschürte Häme
Nichtswissender, die auch nichts wissen wollen –
Er blieb so still, als ob er sich nicht gräme,
Und niemals hörte ich ihn bitter grollen.
Ich sammelte für eine Gruftkapelle,
Es reichte nur für einen Spruch im Steine,
Er schlief mir wie ein Mönch in seiner Zelle,
Und nur der Wald war immer ganz der seine.
Dann war mir Beistand mehr als irgend früher
Die Freundin, die zu Weimar ihrem Bruder
Schuf das Archiv, das als ein Grabstatt-Blüher
Sollt Mahnung sein den Herren, die am Ruder.
O weh, sie hats geahnt, doch sie verdrängte
Die grause Wahrheit, daß der scheue Denker
Der erste wär, den man am Morgen henkte,
Und daß das Volk noch jubelte dem Henker.
Sie starb, nicht jung, jedoch für diese Lücke
Gibts keine Frau mit so viel Mut und Treue,
Allein die Mißgunst wächst, die Femetücke,
Und wenig gibts, darauf ich mich noch freue.

JOHANN: Es kommt Besuch, dies wird gewiß recht heiter,
Ihr werdet wandern auf beblümten Wiesen,
Und zeigt sich Eurem Blick ein junger Reiter,
Verscheucht er die Erfahrungen, die miesen.

ANNA LUISE: Wer weiß, was der Besuch hat zu bedeuten,
Ganz unverhofft, kein Brief und keine Karte,
Ich höre immer Grabesglocken läuten,
Weil ich ansonsten nichts vom Tag erwarte.

JOHANN: Dies ist nun fast schon Sünde, dies Verzagen,
Ich kenn Euch nicht, Ihr wart doch immer munter,
Der Achterbahn gleicht unser Lebenswagen,
Es geht bald auf, gings etwas länger runter.
Und der Besuch, nur ja aus Schweizerlanden,
Dort ist kein Krieg, dort soll die Wirtschaft brummen,
Wohl denen, die sich achtzehn dort befanden,
Stets wer gewinnt, wenn andre sind die Dummen.
Doch jetzt im Krieg privat ins Reich zu reisen,
Wo doch die Zöllner suchen nach Spionen,
Dies scheint mir, mit Verlaub, ein heißes Eisen:
Wozu soll dieses Risiko sich lohnen?
Man ist wohl überzeugt, wir siegen weiter,
Dann wirds auch eng für die gewohnten Pfründe,
Für mich steht einfach fest: für Calvins Streiter
Gibts tags und nachts nur finanzielle Gründe.

ANNA LUISE: Der Morgen graut, du mußt die Pferde füttern,
Es blieben mir noch zwei aus alten Jahren,
Sonst lärmen sie wie Säuglinge den Müttern,
So sagt man doch – ich habs zwar nicht erfahren…
(Sie weint. Johann mit Verbeugung ab.)