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Aus »Anna Luise. Trauerspiel«.   Vers 63064 bis 63123

ZWEITER AUFZUG. ERSTE SZENE


Im Salon des Schlosses Schwarzburg in einer Sommernacht. Es scheinen allerlei Möbelstücke zu fehlen. An den Wänden helle Flecken von fehlenden Gemälden. In der Raummitte ein großes Aquarium mit Goldfischen. Die betagte Fürstin läuft wie nachtwandelnd herum und wird von großer Unruhe geplagt. Man hört einen Dreiklang.


Anna Luise, Postbote.

ANNA LUISE: Wer mag das sein? Der Johann schläft gewißlich,
Man hörte auch im Hof nicht Kraftfahrzeuge,
Die Zeit ist wirr und meine Lage mißlich,
Doch wehe, wenn ich mich dem Pöbel beuge!
Ich komme schon, dem Schicksal untertänig!
Vielleicht ist eine Seele arg im Kummer,
Ich bin ja nicht im Nachtkleid und migränig
Und find ja ohnehin heut keinen Schlummer.
(Sie öffnet.)

POSTBOTE: Durchlaucht, verzeiht, ein Telegramm mit »dringend«,
Es ist mir peinlich, wenn ich Euch grad weckte,
Ich sah das Kabel und aufs Rad mich schwingend,
Geringstverzug mein wildes Eiln bezweckte.

ANNA LUISE: Zwar Juni ists und lau sind unsere Haine,
Doch tratet ihr gar flink in die Pedalen,
Ich mach Euch Tee, daß ihr im Ampelscheine,
Mir sagt, was hier zu tun ist und zu zahlen.

POSTBOTE: Das Telegramm ist frank, den Umschlag reichen
Möcht ich Euch nur, gewiß gewichtig Kunde,
Dank Eurer Huld, doch ich muß rasch entweichen,
Der Dienst verlangt von mir noch manche Stunde.

ANNE LUISE: Es wird doch wohl nicht schrecklich sein, im Kriege
Muß man gefaßt sein auf den Tod der Lieben,
Ich hörte schon von Belgien und vom Siege,
Es wär mir lieb, wenn Ihr bei mir geblieben.
Auch sind die Augen schwach, dem Telegramme
Wärs gut, Ihr könntet mir den Inhalt lesen,
Ihr seht, die Wand zeigt hier so manche Schramme,
Die werden wie ich selbst nicht mehr genesen.

POSTBOTE: Ich darf den Inhalt selber nicht erkennen,
Doch wenn Ihr mich so bittet, werd ichs machen,
Ich folge Euch dahin, wo Lampen brennen,
Ich weiß, im Alter hat man nichts zu lachen.

ANNA LUISE: Ich brüh den Tee, den dürft Ihr nicht verweigern,
An Personal ist kaum mehr was im Schlosse,
Dann sollt die Ungeduld Ihr nicht mehr steigern,
Ob wer erlag dem feindlichen Geschosse.
(Geht ab, kommt mit Tasse und Teekanne zurück. Der Postbote tritt ins Licht und öffnet den Umschlag.)

POSTBOTE: Es kommt nicht von der Front, es kommt vom Amte
Am Hauptbahnhof zu Nürnberg und geschrieben
Hats wer, der ganz aus Eurer Nähe stammte,
Sonst wärs bei Vornam drunter nicht geblieben.
»Komm morgens an in Schwarzburg. Edda«, lese
Ich hier, dies ist gewiß kein böses Zeichen,
Da macht wohl jemand gar nicht viel Gewese,
Euch unverhofft und plötzlich zu erreichen.

ANNA LUISE: Die Edda, die ein Schweizer Uhrnhersteller
Geehelicht, was sucht sie wohl im Reiche?
Sie half mir manches Mal mit einem Heller,
Schon lang ists her, daß ich dabei erbleiche.

POSTBOTE (trinkt den Tee):
Dies ist doch gut, das Recht ist bei dem Starken,
Die Zeiten sind nicht billig, unsere Führung
Druckt schon aus Geldnot laufend Sammlermarken,
Euch drückt sie auch, ich sags nicht ohne Rührung.

ANNE LUISE: Ich will die Prüfung, die dem Herrn ich schuldig,
Ertragen fest, gelassen und gar heiter,
Er trug die Dornkron unterm Spott geduldig,
Und er hilft immer dem Beladnen weiter.

POSTBOTE (stellt die Tasse ab):
Ich will nun rasch mein Rad erneut besteigen,
Und Ihr erlaßt mir eine weitre Tasse,
Ich denk, es schickt sich besser beim Verneigen,
Wenn das gewohnte »Heil« ich unterlasse. (Ab.)