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Aus »Anna Luise. Trauerspiel«.   Vers 62896 bis 62971

ERSTER AUFZUG. VIERTE SZENE


Anna Luise, Thekla, Forstmeister. Sonne tritt auf.

SONNE: Durchlaucht, ihr wart so rasch dem Blick entschwunden,
Unschicklich schiens mir, allzurasch den Fürsten
Zu lassen, und hab ich Euch jetzt gefunden,
Muß ich das Dornicht mir vom Rocke bürsten.

ANNA LUISE: Wir sprechen grad von neuren Bühnenwerken,
Die den Geschmack und Glauben uns verhöhnen.

FORSTMEISTER: Um Wedekind gings, bleibt mir anzumerken,
Und seine Neigung zu den Schrecklich-Schönen.

SONNE: Herr Wedekind ist mir bekannt als Jünger
Des Bruders, denn für einen Pessimisten
Sind Übermensch und Peitsche bester Dünger
Für Bühnenränke und Beziehungskisten.

FORSTMEISTER: Sagt, saht ihr je das Weib, das dieser Dichter
Auf deutschen Bühnen buhlen läßt und morden,
Und beugt sich uns im Unterleibs-Gelichter
Die blonde Bestie aus dem rauhen Norden?

SONNE: Den Übermensch theaterwirksam schreiben,
Ist ganz gewiß kein leichtes Unterfangen,
Das Urgesetz aus der Natur zu treiben,
Gelingt, wie Goethe sagt, dir nicht mit Zangen.

ANNA LUISE: Sag, Sonne, deines Bruders Werk in Ehren,
Ists recht, wenn jeder Egoismus predigt
Und bei Kritik nur meint, die Tugendlehren
Hätt Nietzsche schon mit rotem Stift erledigt?

SONNE: O Fürstin, als mein Bruder noch verächtlich,
Wars leichter, die Gedanken rein zu halten,
Nun sorg ich mich nicht selten mitternächtlich,
Daß rohe Kräfte mit den Worten walten.
Ich glaube, daß mein Bruder dem Humanen,
Das er mit herbem Spotte angegriffen,
Nur übelnahm, daß seiner Weisheit Samen
Gar üble Winde hart entgegenpfiffen.
Die meisten, die auf Nietzsche sich beziehen,
Wolln Scharfes und verstehen nicht sein Büßen,
Als stiller Geist hat er nicht rumgeschrieen,
Er sprach, der Wandel käm auf Taubenfüßen.

ANNA LUISE: Es geht um Inhalt, nicht allein um Formen.
Sag, ist der Übermensch ein Hunnenreiter?
Kann nichts bestehn an Adel, Sinn und Normen?
Ist er dem Letztgefecht der Geistesstreiter?

SONNE: Die Seele Christi im Cäsarenmute,
So nannt mein Bruder großen Mittags Wende,
Er zieh die Guten und verlangt das Gute,
Ich ring bei manchem Worte wohl die Hände,
Wir können nicht verstehn, was ihm geleuchtet,
Aus Zeiten, davor Schutt und Blut sich türmen,
Die Wahrheit ihr aus seinem Worte scheuchtet,
Versucht ihr blind den Torweg zu erstürmen.
Es liegt in diesem Werk ein harter Spiegel,
Darin sich jeder bar der Schminke prüfe,
Und auf der Weisheit liegen strenge Siegel,
Der einzig bricht, wer ihm ganz ähnlich schüfe.
Ja überhaupt die Schöpfung im Ermatten
Uns aufzuwecken, schrieb mein toter Bruder,
Dies ist kein Ruf, zu töten seinen Gatten
Und was sonst tunlich dem verderbten Luder.

FORSTMEISTER: Es muß der Weisheit zum Verderben werden,
Wenn ohne jedes Maß und sich-Bescheiden
Gar jedem frei, sein Fuhrgespann mit Pferden
Zu stärken und die Bücher auszuweiden.
Wenn die Kritik im Ringen um die Quellen
Dem Metzger frommt und auch dem flinken Schützen,
Dann stehn zuletzt Hanswurst und Spießgesellen
Und debattiern wie Spatzen an den Pfützen.
Und drüber wird die Welt zur Geisteswüste,
Weil Sinn und Unsinn, Ulk und fromme Weise,
Der Rausch, der Traum, das späteste, das frühste,
Zum Dickicht werden ohne Flur und Schneise.

SONNE: Der Glaube meiner hellen Kindertage
War stets mein Licht in diesem Labyrinthe,
Einst heißts, daß ich verfälscht den Bruder habe,
Doch nahte immer ihm die Wohlgesinnte.

ANNA LUISE: Ich weiß wohl, daß Euch Opfer nie geschrecket,
Wir stehn in einem Sumpf von harten Fragen,
Wenn ich auch oft die Weisheit nicht entdecket,
So möcht ich nicht an Euerm Herzen klagen.