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Aus »Anna Luise. Trauerspiel«.   Vers 62820 bis 62895

ERSTER AUFZUG. DRITTE SZENE


Thekla, Forstmeister. Anna Luise tritt auf.

FORSTMEISTER: Die Fürstin selbst, Durchlaucht, welch eine Ehre,
Ich gab ein wenig Unterricht zum Walde,
Denn die Prinzessin, die ich hier belehre,
Saß schrecklich einsam auf der Rasenhalde.

ANNA LUISE: Dies ist gewiß voll Kurzweil und Vergnügen,
Ich neid Euch manchmal Eure Arbeitsstätte,
Und gäb es die Musik nicht, würd ich lügen,
Daß ich vorm Wald noch etwas lieber hätte.

FORSTMEISTER: Der Heger hat nicht nur die Augenweide
Und selten die Gesellschaft hoher Damen,
Manch Wildrer trägt die Flinte durch die Heide,
Bis ich dem Schulzen melde Tat und Namen.

ANNA LUISE: Im Wald war ich als Kind, als junges Mädel,
Und noch als Greisin werd ich Birken lieben,
Die Stadtluft schmerzt den Rücken und den Schädel,
Die Nerven werden mächtig aufgerieben.

FORSTMEISTER: Ja, das ist wahr, gesund ists unterm Dache
Des Himmels, und vertraut sind mir die Eichen,
Doch wenn ich früh aus einem Traum erwache,
So sah ich meist nicht Bäume, sondern Leichen.
Ich träume oft von Krieg und Blitzgeschossen,
Von Sprengstoff, Schreien, wüsten Metzeleien,
Doch sein die Themen besser abgeschlossen,
Ehs heißt, daß sie doch recht geschmacklos seien.

ANNA LUISE: Im Wald ists friedlich, doch in Kaffeehäusern
Wird debattiert und Haß mit Neid verrieben,
Und man erfährt von Schiebern und von Schleusern,
Die mit Entsetzen böse Scherze trieben.

FORSTMEISTER: Von Rußland, wo ich lieb die Trauerweiden,
Kommt vom Gezücht, das ärgste, das begierig,
Uns nächtens hier die Kehle durchzuschneiden,
Und, Fürstin, unsere Zeiten bleiben schwierig.

ANNA LUISE: Es sind die Fremden nicht allein die Hetzer,
Auch die Gesellschaft hier ist ganz verdorben,
In Rudolstadt, da streiken heut die Setzer,
Fürs Nacktbad wird vom Redakteur geworben.

FORSTMEISTER: Ich weilte jüngst im fürstlichen Theater
Mit meiner Frau, zum Glück da ohne Kinder,
Ich bin bloß froh, dies nicht erlebt mein Vater,
Das Minimum Geschmacks fand hier den Schinder.
Ich bin im Heutgen ziemlich unerfahren,
Als Knabe liebt ich Schiller überschwenglich,
So war ich mir darüber nicht im klaren,
Der Titel »Erdgeist« schien mir unverfänglich.
Ein Förster denkt bei Erdgeist eher Fausten,
Nicht Femme fatale und nicht an Männerfresser,
Daß Rotlichtszenen in den Mauern hausten,
Wär unbekannt geblieben mir wohl besser.

ANNA LUISE: Der Autor dieses liederlichen Stückes
War sicher jung, ohn Presse und Tantiemen,
Ihm schiens gewiß, mit dem Skandale glück es,
Zum Aufschaun Rezensenten zu bequemen.
Seht, Schillers »Räuber« einst auf Mannheims Bühne,
Warn auch recht holzschnitthaft den guten Sitten,
Drum hoff ich, Ihr besteht da nicht auf Sühne
Und laßt mich für die jungen Künstler bitten.

FORSTMEISTER: Nein, Fürstin, Eure Milde ist am Platze
Hier nicht, der Autor geht schon auf die fünfzig,
Der Vorbestrafte sagt, daß ihn nicht kratze
Empörung, und er steigert sie auch künftig.
Er spielte selbst die schmutzigste der Rollen,
Satyrisch populär als Bänkelsänger,
Er schöpft beim Unrat immer aus dem Vollen
Und nennt sich selber einen Rattenfänger.
Doch ärgerlicher noch als dies Betragen,
Ists Presselob, man preist ihn als den echten
Dramatiker und jauchzt, er würd es wagen,
Zum Fortschritt von Moral und Frauenrechten.

ANNA LUISE: So sorgt man sich um Wohlfahrt und Entfaltung
Und nährt dabei das Hyderhaupt des Spottes,
Weil man verdrängt bei mimischer Gestaltung
Das Fehln der Demut und der Achtung Gottes.
Ich denk oft, daß die klassische Gesittung
Schon rüttelt, doch vor Konsequenzen zaudert,
Der Selbstverrat des Geistes ist die Quittung,
Wenn ihm vorm Himmelsvater nicht mehr schaudert.