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Aus »Anna Luise. Trauerspiel«.   Vers 62750 bis 62819

ERSTER AUFZUG. ZWEITE SZENE


Thekla, dann der Forstmeister.

THEKLA (allein zurückkommend mit dem Pilz):
Er ist so schön wie ein Marienkäfer,
Und viel zu schön, daß man politisiere,
Er huscht nicht fort, so wie der Siebenschläfer,
Er leuchtet für die Menschen und die Tiere.

FORSTMEISTER (tritt auf):
Oh, Hoheit, so allein im finstern Walde,
Hier gibt es Schweine und auch freche Kerle,
Was hat Euch so verzückt auf dieser Halde,
Daß ihr vereinsamt lehnt an dieser Erle?

THEKLA: Es ist des Waldes schneebeflockter Ritter,
Der mir das Antlitz ähneln läßt dem Hute,
Ist auch sein Fleisch gefährlich uns und bitter,
So streichel ich doch hold die stramme Rute.

FORSTMEISTER: Er wird schon bald die Festigkeit verlieren,
Der Purpur wird wie Schminke falb verlaufen,
Und auch die Flocken, die den Wackern zieren,
Sind bald schon klebrig wie ein Eiterhaufen.

THEKLA: Warum muß dies so sein, zu meiner Trauer?
Ich hätte ihn so gern nach Haus getragen,
Warum ist, was so schön ist, nicht von Dauer,
Warum muß es so rasch der Zeit entsagen?

FORSTMEISTER: Dies ist, Prinzessin, dem gemeinen Diener
Ein Fragen, das Doktoren schafft Migräne.
Der Herr des Waldes scheint mir ein Schlawiner,
Daß selbst der Leu drob schüttelt bloß die Mähne.
Er kargt mir Rot und bannt es ins Verschloßne,
Ins Blut, ins Herz, und wagt allhie nur Tupfer,
Zum Schub entschloß sich heut der Unverdroßne,
Doch gleichwohl todkrank ist der junge Hupfer.
Die Sporen auszustreun in weite Runde,
Durft er sich aus dem Grundgeflechte heben,
Das Licht währt länger kaum als eine Stunde,
Doch endlos größer ist das ganze Leben.
Das Reich der Pilze ist ein dunkles Trachten,
Was endet, anfängt, scheint nicht zu entscheiden,
Und mag den Menschen Wolfszeit längst umnachten,
So pilzt es doch in Wäldern und auf Weiden.

THEKLA: So hätt ich gar den Pilz nicht nehmen sollen,
Der nun den Auftrag seiner Art versäumte,
Vielleicht ists bös, im Wald herumzutollen,
Als Kind, daß nur die eigne Freude träumte.

FORSTMEISTER: Da kann ich Euch beschwichtgen, hohe Dame,
Dies Reich weiß nichts von Krise und von Mangel,
Es schwelgt im Moorgrund wie im weißen Rahme.
Als würfe man im Ozean die Angel,
Ists, irgendwo den Sporenstand zu brechen,
Wo tausend stehn bereit, in Tau und Regen,
Ganz unvermutet in die Höh zu stechen
Und auszuteilen ihren reichen Segen.
Hier gelten nicht die menschenhaften Maße,
Der Sparer und die Sorg um Herbst und Winter,
Für Sechzehnspänner breit ist diese Straße
Und wo ihr Ziel, da steigt Ihr nicht dahinter.

THEKLA: So ist nicht jedes Wesen im Gebete
Dem Schöpfer voller Demut und voll Reue?
So scheints, daß ich ein Dunkelreich betrete,
Das hat nicht not die Sorge und die Treue?

FORSTMEISTER: Das Evangelium sei dem Menschen Muster,
Daß er beacht, was ihm sich füg und schicke,
Doch was dem Leben frommt in unbewußter
Gestaltung, ich nicht in der Schrift erblicke.
Der Herr sprach uns als Hirt zu seiner Herde,
Er spricht was uns erhalten soll und retten,
Doch was da sonst im großen Stirb und Werde,
Webt andern Traum und liegt in andern Ketten.
Es ist mir nicht gegeben, Euch zu schildern,
Was Wunder groß, die nicht im Buche stehen,
Ich sorg nur, daß die Bauern hier nicht wildern,
Und Damen nicht in Bärenfallen gehen.