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Aus »Anna Luise. Trauerspiel«.   Vers 62662 bis 62749

ERSTER AUFZUG. ERSTE SZENE


Eine Waldlichtung am Oberlauf der Schwarza. Eine Wandergesellschaft in bürgerlicher Kleidung, die Damen mit Zylindern.


Günther, Anna Luise, Sonne, Thekla, Bary

ANNA LUISE: Die Rasenbänke kommen wie gerufen,
Es ist so schön, so friedlich auf der Höhe.

GÜNTHER: Vortrefflich sitzt es sich auf diesen Stufen,
Kein Wespennest und keine Hundeflöhe.

SONNE: Hier wird der gute Tee dem Gaumen munden,
Auch sind wir hungrig nach dem Butterbrote.

GÜNTHER: Dies sind der Seele seltne Wonnestunden,
Wo krallenfrei ist selbst die Löwenpfote.

THEKLA (mit einem Fliegenpilz aus dem Wald):
Schaut, welch ein Prachtkerl stand am Birkenfuße,
Auf Purpur weiße Flocken von Frau Holle,
Er lachte mir mit feschem Minnegruße,
Grad so, als ob es was bedeuten solle.

BARY: Der Überschwang sieht gerne solche Zeichen,
Als Glückspilz gilt der Rote den Chinesen,
Doch würd er Euch zum Wohle nicht gereichen,
Denn Arglist wohnt in diesem Sporenwesen.

THEKLA: Wer weiß, ich hörte reden von Schamanen,
Den dieser Pilz ein drittes Aug geboren,
Daß sie beflügelt wie des Sturmwinds Fahnen
Sich in der Träume Wunderland verloren.

ANNA LUISE: Mein Gott, ach Thekla, was sind das für Schriften,
Schamanen, Sturmwind, Traumland und so weiter,
Du wirst dich, Liebes, rettungslos vergiften,
Bleib lieber hier, wo uns der Himmel heiter.

BARY: Der Fliegenpilz wird guten Grunds gemieden,
Zwar sagt man, daß manch Hexe ihn in Salben
Genoß, doch wie beim Sturz der Ikariden
Der Lungenschwund die Gabe heißt der Alben.

SONNE: Dies sind so Moden, Hexenringe, Räusche,
Mein Bruder sah darin den Wunsch zum Tode,
Und wenn ich mich in dieser Sach nicht täusche,
So wird es immer ärger mit der Mode.

ANNA LUISE: Ja, Opiumesser, Ätherschnüffler, Trinker,
Manch einer weiß gar Morphium sich zu spritzen,
Wos Drogen gibt, da steht schon bald ein Linker,
Dems mächtig eilt, sein Quantum zu besitzen.

SONNE: Ja, etwas Gift für angenehme Träume,
Und etwas mehr für angenehmes Sterben,
Und wer sich früh gewöhnt an solche Schäume,
Will nichts mehr als das Täuscheglück erwerben.

ANNA LUISE: Man läßt nichts unversucht, um auszusteigen
Aus Tradition, aus Ehrbarkeit und Mühe,
Benebelt wähnt man sich im Schwanenreigen,
Wo die Vernunft nur Ochsen schaut und Kühe.

GÜNTHER: Laß gut sein, Anna, diese Rauschsubstanzen
Verändern nicht die Urteilskraft im Kopfe,
Zu Philosophen werden nicht die Schranzen,
Und auch der Weise wird so nicht zum Tropfe.
Die Macht der Pflanze, die den Blick verwandelt,
Soll uns nicht als der Unheilsschöpfer gelten,
Denn was uns Maß und Sittlichkeit verschandelt,
Sind Süchte, die so alt wie alle Welten.

BARY: Durchlaucht gedenkt der Reichstagswahl, die neulich
Bedrohlich Hetzer und Verderber stärkte,
Schon lang war die Entwicklung unerfreulich,
Wie der Betrachter sorgenvoll bemerkte.

GÜNTHER: In meinem Lande zeigten sich die Roten
Schon ein Jahr früher als die Wahlgewinner,
Und keine Woche, daß mich nicht bedrohten
Die Schreier und die Raufer und die Spinner.

SONNE: Das allgemeine Wahlrecht, kaum begreiflich,
Wie konnt solch Mißgriff Bismarck unterlaufen,
Dem Edlen ists bestimmt, er prüfe reiflich,
Die Masse läßt sich jeden Mist verkaufen.

ANNA LUISE: Im Jahre einundsiebzig nach dem Kriege,
Warn Hoch und Niedrig eins und Patrioten,
Heut ist die Ordnung eine lästge Fliege,
Und morgenschön das Paradies der Roten.

SONNE: Es ging noch, als Ostelbien überstimmte
Die Städte, wo der Mob sich ehrlos drängelt,
An Ruhr und Spree schon lang die Lunte glimmte,
Die sich nun blutrot in den Reichstag schlängelt.

ANNA LUISE: Die Industrie nährt niedrigste Naturen,
Und seit der Staat sie hätschelt mit Diäten,
Aus jedem Pfuhl die Hurenpriester fuhren,
Daß sie vorm Schloß die Teufelsflagge blähten.

SONNE: Wenn erst noch, wie man fordert, auch die Weiber
Bestimmen dürften, wo da Geld und Steuer,
Dann wird der Kaiser selbst zum Schweinetreiber,
Und die Kultur geht gradenwegs ins Feuer.

GÜNTHER: Nun laßt die Politik, es ist zu ändern,
Wohl nicht, und Gott allein weiß, was geschrieben,
Wenn er uns prüft in unsern Heimatländern,
Vielleicht weil wir im Geiste Unzucht trieben.

ANNA LUISE: Ja, Günther, du hast recht, der Herr alleine,
Kann uns der Zeiten Schaum und Wirren deuten,
Der Zweifler achtets Schreckgespenst am Raine,
Der Heilige allein das Glockenläuten.
(Alle ab.)