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Aus »Anna Luise. Trauerspiel«.   Vers 62618 bis 62661

PROLOG


Frau Elisabeth Förster-Nietzsche, Freundin der Fürstin und von ihr Sonne genannt, tritt im Alter von 66 Jahren vor den Vorhang.

SONNE: Verehrte Leute zwischen Maas und Memel,
Die ihr das grüne Herz von Ilm und Saale
Zu schauen hofft auf dem Theaterschemel,
Drum Burgen stehn und Wasser rauscht im Tale.
Ich bin die ältste in der Picknick-Runde,
Die euch im ersten Aufzug soll berichten,
Von Jahren, da verschlossen noch die Wunde,
Die brach, das Land der Dichter zu vernichten.
Mein Bruder Fritz hat manches vorgedeutet,
War auch mein Leben länger als das seine,
Kommt doch, wenn mir die Totenglocke läutet,
Was hier beginnt, noch lange nicht ins reine.
Es wird das Publikum, Jahrzehnte später,
Noch wissen, daß die Saat des roten Drachen,
Noch immer schlingt die Söhne und die Väter,
Und wer vorausschaut, findet nichts zu lachen.
Die Fürstin, die mir freundlich und gewogen,
Wird sich, wenn ich verewigt, weitertasten
In Nebel, wo verfalbt der Regenbogen
Und die Lemuren nimmer ruhn noch rasten.
Ich kann den Ausgang dieses Stücks nicht künden,
Und sterb im Zweifel, wie so viele Ahnen,
In welches Meer die großen Ströme münden,
Das spricht sich nur im Leiden und im Wahnen.
Vielleicht, daß meines Bruders Aug gebrochen,
Vom Licht, das ihm der Große Mittag spendet,
Doch vorher hat der Philosoph gerochen,
Wie ein Jahrtausend modert und verendet.
Ich hab zu mancher Deutung mich verstiegen,
Doch dies geschah nur wider das Vergessen,
Es mögen keine Sicherheiten liegen
Im Wehn der Zeit, die wir zu kurz vermessen,
Ich bin ein Weib, das nicht zu Adlerflügen
Geboren und zum adlerhaften Spähen,
Doch spürt mein Herzschlag mit den Vogelzügen,
Daß treu dem Wandrer sind allein die Krähen.
Doch glaub ich an das zähe Nichtverraten
Ererbten Glaubens und ich steh wie Luther,
Wenn Totengräber schwingen schon den Spaten,
Und um Kanonen wird getauscht die Butter.
So schaut ein Herz, das zwischen Sorg und Pflichten
In Schmäh und Jammer strauchelt nicht im Glauben,
Denn jene, die den Lebensquell vernichten,
Vermögen nicht, die Seligkeit zu rauben.