|
Aus »Anna Luise. Trauerspiel«. Vers 63473 bis 63536 DRITTER AUFZUG. ERSTE SZENE Ein Zimmer im Westflügel des Schlosses Sondershausen. Viel zu viele Möbel, dazu Kartons und Kisten wie bei einem Umzug, man erkennt, daß sich jemand räumlich stark einschränken mußte. Auf einer Seite des Raumes liegt Baumaterial. Anna Luise auf einem abgewetzten Sofa, drüber ein Bild des Fürsten mit Trauerrand. In der Raummitte ein Flügel, Musikdirektor Artz spielt »Befiehl du deine Wege«. Die Fürstin summt leise. Anna Luise, Artz. ANNA LUISE: Vor der Enteignung hatte ich Konzerte Dort im Salon, wo heute die Kantine Der Volkshochschule, ach, welch eine Härte, Man riß hinweg Tapete und Gardine. Mit neuen Wänden, Aufzug, vielen Rohren Versucht man die Vergangenheit zu merzen, Doch wer vor einundsiebzig ist geboren, Der wird auch diese neuste Schmach verschmerzen. (Sie sinnt ein wenig. Pause.) ARTZ: Die Zeitung ist auch heute unerfreulich Man spricht von Reaktion und Elementen, Selbst auf der Straße pöbelte wer neulich, Und sprach, für euch gibts hoffentlich nie Renten. ANNA LUISE: Wir hatten Kontrabaß und Cellospieler, Pansflöte, Geige und sogar Posaunen, Grad wie im Dom, wo im Gesange vieler Die Engel über Menschenwerke staunen. Mir blieb der Flügel und von Freunden echte, Und ist die Stimme auch nicht mehr die reine, So bin ich letztes Glied in dem Geschlechte Noch immer, Heiland, froh und ganz die deine. ARTZ: Wir müssen uns nach diesen Zeiten richten, Mir ist es hart bei dem Berufsverbote, In Deutschland ist die Hoffnung nicht zu sichten, Doch immerhin, es fehlt mir nicht am Brote. ANNA LUISE: Daß man Euch als Direktor rausgeschmissen Vom Lohorchester kommt mir gar zunutze, Denn Ihr verkauft für einen guten Bissen, Was hier noch blieb im Prunke und im Putze. ARTZ: Die Zeitung meint, wir wären so Halunken, Die voller Dünkel wider das Gewissen Der kleinen Leute Blut und Schweiß getrunken, Wir seien schuld an Krieg und Finsternissen. ANNA LUISE: Die Leier ist nicht neu, jedem Regime, Ob Weimar, Nazis oder Kommunisten, Die auszudenken traute sich kein Mime, Der Adel stand ganz vorn auf Schurkenlisten. Die Herrn an Rhein und Ruhr sind letzten Endes Der Grund fürs böse Blühn der Ideologen, Das Himmelslicht am Ende des Geblendes Spricht Rückkehr in den Brauch, der einst gepflogen. Der erste Schlag ins Fundament der Stände, War das Geschwätz, die Freiheit wäre allen, Dies zielte auf der wahren Freiheit Ende, Und machte alle Menschen zu Vasallen. ARTZ: Die Freiheit ist den allermeisten Leuten Nur Mühsal, Risiko und Unbehagen, Die Freiheit kann nie ein Geschenk bedeuten, Sie ist die Zucht, um die wir alles wagen. Im Geiste, in der Wirtschaft und im Wehren Kann frei nur sein, wer Opfer zu vermeiden, Zu stolz ist und ein Höheres zu ehren, In Kauf nimmt, Not und Nachteil zu erleiden. ANNE LUISE: Der Freie hat den Grund sich zu ernähren, Hat Glauben, die Verführung zu verachten, Er hat den Mut, Tyrannen zu erklären, Daß sie sich selber bloß die Grube schachten. Wenn sich ein Staat auf freie Menschen gründet, So ist er sehr verschieden dem der Sklaven, Wo alles Wollen in Verblendung mündet, Weils dann den Hüthund ängstigt vor den Schafen. ARTZ: Der Freiheit Dreiklang sagt sich in den Ständen, Der Mut, der Glaube und die Tüchtigkeiten, Nur sie gemeinsam können Unheil wenden Und die Gemeinen in die Wohlfahrt leiten. |