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Aus »Anna Luise. Trauerspiel«.   Vers 63376 bis 63472

ZWEITER AUFZUG. FÜNFTE SZENE


Anna Luise. SA-Rottenführer Pfeiffer tritt auf.

PFEIFFER: Mir ist befohln, die Räume auszumessen,
Dazu ists not, die Bilder abzuhängen,
Am besten wärs, Sie gingen fort indessen,
Als sich hier mit dem Abschied anzustrengen.

ANNA LUISE (tritt an das Aquarium):
Macht Euch nicht Sorge, ich werd stille warten,
Noch stiller als am Fenstersturz die Fliege,
Auch bin ich an den Ton, denn männlich harten,
Gewohnt, denn schließlich leben wir im Kriege.

PFEIFFER: Das Männlich-Harte ist ja nur Getöne
Der Gräfin, daß ihr Ehmann schwul gewesen,
Das weiß in Rudolstadt doch jede Schöne
Und in der Presse hat mans auch gelesen.

ANNA LUISE: Ihr seid ein Scheusal, dumm und aufgeblasen,
Sonst könntet Ihr nicht solch Verleumdung wagen,
Und läg mein Günther nicht schon unterm Rasen,
Er hätte Euch die Zähne ausgeschlagen.
Doch freilich lebte er in andern Zeiten,
Da führt man solche Narren zum Psychiater,
Heut dürfen sie in Uniformen schreiten
Und meinen, diese Welt sei ihr Theater.

PFEIFER: Nur noch ein Wort, die Uniform betreffend,
Dann werd ich Sie bei der Gestapo loben,
Dann dürfen Sie, die Majestäten äffend
Im Steinbruch hinterm Stacheldrahte toben.

ANNA LUISE (wendet sich den Fischen zu):
Rotgoldner sag, was hat sich so geplättet,
Daß du stets nah am gänzlich Unsichtbaren,
Wenn ihr, Gespielen, was zu sagen hättet,
So blieb kein Gras und auch kein Wurm im Klaren.

PFEIFFER: Jetzt wird die alte Jungfer gänzlich irre,
Sie merkt es nicht, wenn ich den Hausrat raube.
Wohl brauchen könnt ich manches vom Geschirre
Und auch die Möbel für die Vorstadtlaube.
(Man hört großen Lärm von einstürzenden Mauern.)

ANNA LUISE: Was geht hier vor? Was ist das für ein Krachen?
O großer Gott, erhalte meine Nerven!

PFEIFFER: Ja Gräfin, da ist leider nichts zu machen,
Es nützt nichts, wenn Sie sich dazwischenwerfen,
Ihr Martertod würd allenfalls uns lösen
Die Mühe, Sie noch etwas durchzubringen,
Doch freilich könn Sie auch noch etwas dösen
Und von den guten alten Zeiten singen.

ANNA LUISE (läuft zum Fenster):
Was soll das sein? Was ist mit diesem Turme?
Er wankt. Man will die grauen Mauern schleifen.
Kein Flugzeug, doch ich steh im Bombensturme,
Wer soll den Wahn, die Teufelei begreifen?

PFEIFFER: Hörn S’ auf mit dem hysterischen Geträne,
Sie wollten bleiben doch und prozessieren!
Was soll es, wo gehobelt wird, falln Späne,
Sie wußten, daß die Bude wir sanieren.
Die Kirche braucht in unsern Zeiten keiner,
Wir schaffen selber uns die helle Sonne,
Und fällt da von den Pfaffentürmen einer,
So ists für echte Deutsche reinste Wonne.

ANNE LUISE: Die Reiter, ja, wie Dürer sie erkannte,
Sie reiten und zerschlagen Stadt und Mauer,
Sie lassen hinter sich nur das Verbrannte
Und hassen alles, was da schien von Dauer.
Jetzt ist es Zeit, jetzt muß der Heiland kehren,
In seinem Hause marodiern Banditen,
Wir warn zu schwach, die üble Brut zu wehren,
Und im Gebälk ist alles voll Termiten.

PFEIFFER: Ja schrein S’ und fluchen S’, Christ ist ohne Mittel,
Die morgenfrohe Jugend aufzuhalten,
Denn Schluß ist es jetzt mit Buß und Beterkittel,
Die Weihrauchfässer werden ganz erkalten.
Es bleibt ein Schutt, den fährt man auf die Halde
Samt Weibsgetratsch vom alten Judengotte,
Und leuchtend zeigt der Führer sich im Walde,
Und führt zur Schlacht die kruppstahlharte Rotte.
(stürmt begeistert hinaus und kehrt mit einer Bibel zurück und wirft sie Anna Luise hin.)
Das schenk ich Ihn’ als guten Briefbeschwerer,
Ansonsten könn Sie’s im Klosett verwenden,
Das Buch ist inhaltslos und wird nicht leerer,
Berühren sich die Pappen beider Enden.

ANNA LUISE: Fürwahr, die Hölle öffnete die Pforten,
Der letzte Rest zerfiel vom Menschenwesen,
So mag es Feuer regnen in den Orten,
Der Drache kehrn mit einem Eisenbesen.
Nun nebelt uns das Übermaß der Sünde,
Bis wir erstickend nicht mehr schrein und jammern,
Nun öffnen sich der Erde Magmaschlünde,
Und es gibt keinen Fels mehr, sich zu klammern.
Nun fällt das Reich, erbaut in tausend Jahren,
Mit Schweiß und Blut und mit des Heilands Segen.

PFEIFFER: Ist jetzt mal Schluß mit Gott und Engelscharen?
Der Schock der Nerven wird sich alsbald legen.
Sie sollten mal was Kräftigendes nehmen,
Ein Wort mit Stolz und Nahrung für Millionen,
Sie sollten sich zur Wirklichkeit bequemen,
Und nicht in Wolkenkuckucksheimen thronen.
(Er schaltet einen Volksempfänger mit einer Rede Hitlers ein. Anna Luise nimmt diesen wortlos und versenkt ihn langsam im Aquarium. Dann hebt sie die Bibel auf und umklammert sie.)

ANNA LUISE: Ihr Goldenen, ihr Flieger im Gefäße,
Verzeiht, daß ich mit Unrat euch besudle,
Es war mir das dem Augenblick Gemäße,
Damit der Teufel hier nicht weiter dudle.
Euch wirds vergiften, aber euer Sterben
Ist besser als das Leben in der Schande,
Ich bin seit vielen Jahren ohne Erben,
Doch glaub ich, dies ist jeder hier im Lande.
(Zwei Wärter zerren Anna Luise von der Bühne. Bis sie dem Blick entschwindet, hält sie fest die Bibel umklammert.)