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Aus »Engelhard. Treuepistel«.   Vers 58900 bis 59010

ERSTER AUFZUG. ERSTE SZENE


Merlin, Engelhard.

MERLIN (am Feuer den Bratspieß wendend):
Ich hab die Zeit, den Helden vorzustellen,
Vertan mit Räuspern und Rhetorikspielen,
Nun seh ich seinen Ritt, den odinsschnellen,
Staub wühln, das wegrands alle Zwetschgen fielen.
Ich ändere die Didaktik, liebe Leute,
Und werd sokratisch diesen Mann befragen.
Horcht auf! Er wird uns wie ein Medium heute
Mehr als er weiß von seinem Leben sagen.
(zu Engelhard):
Halt ein und tränk das Roß an dieser Quelle!

ENGELHARD (hält im Galopp inne und trabt):
Wer seid ihr, Herr, gewappnet ohne Wappen?

MERLIN: Das sagt, Burgunder, sich nicht auf die Schnelle.
Ich lad euch ein auf einen guten Happen
Und etwas Wein. Die Rast zur rechten Stunde
Schont Roß und Reiter und die guten Sitten,
Ich bin, dies schon vorab, mit euch im Bunde.
Nun kommt und laßt kein drittes Mal mich bitten.

ENGELHARD (springt ab):
So herzlich wie ihr sprecht, wär ich ein Schlingel,
Käms mir drauf an, mich rasch davonzumachen,
Das Fett auf eurem Braten bildet Kringel,
Man sieht darin die liebe Sonne lachen.
Doch sagt, eh ich mich niederlaß zum Schlemmen:
Wo ist die Quelle und vielleicht Getreide?
Ich hieß den Rappen Berg und Tal durchkämmen
Und hab nicht Zeit, daß er gemächlich weide.

MERLIN: Ein Hafersack liegt dort im Haselbusche
Und Wasser springt nur ein paar Ellen weiter.
Glaubt nicht, daß ich bei Akzidenzien pfusche,
Wenn ich erwarte durstig Roß und Reiter.

ENGELHARD (nachdenklich, setzt sich):
Seltsam, ihr klingt wie meines Vaters Stimme,
Der wies mich, in der Fremde auf die Zeichen
Zu achten und nicht unbedacht im Grimme
Zu übersehn, wie sie vertrauten gleichen.

MERLIN: So ist es. Unterm Himmel keine Lande,
Wo die Vernunft nicht schätzt den vollen Magen,
Die Torheit ist die Kammerfrau der Schande
Und nutzt allein dem Dichter frommer Sagen.

ENGELHARD: Aus welchem Lande kommt ihr?

MERLIN:                 Übers Wasser
Bin ich gefahrn vom Eiland früher Jahre,
An manchen Orten trockener, mal nasser,
Und Wasser wird auch sprühn auf meine Bahre.
Wer bin ich? Diese Frage macht mich schmunzeln.
Ein Ritter, wo ich Harnisch seh und Schwerter,
Jedoch die Minne stört sich an den Runzeln...

ENGELHARD: Ihr sprecht zuweilen wohl wie ein Gelehrter,
Doch seh ich keine Runzeln und kein Alter,
Ihr scheint mir jung wie ich.

MERLIN:                 Oh, keine Frage,
Das Aug allein setzt auf den Blust den Falter,
Und der Betrachter schafft sich Lob und Klage.
Ihr seht in mir, was aus dem Traum erinnert,
Den ihr vom Leben träumt in euren Nächten,
Was drein nicht paßt, das haltet ihr für spinnert,
Was gleichklingt, läßt euch löwenmutig fechten.
Ich komm aus Nebel, dicht und aus dem Bersten
Der Wogen an der Klippenfront aus Kummer,
Gesprüh und Möwenschreie warn die ersten
Gefährten in des Kindes dunklem Schlummer.
Die Mutter starb am Blutsturz aus der Lunge,
Sie sang sehr schön und reimte übelsinnig,
Und wie das Meer bricht mir das Licht die Zunge,
Ich komm aus Nacht, und ohne Vater bin ich.
(Er lächelt.)

ENGELHARD: Mein Vater ist von gutem, altem Namen,
Doch arm, ich hab im Hause noch neun Brüder.
Wer wollte da nach einem Anspruch kramen?
Wer wartet, bis der Tatendurst wird müder?
Ich zieh mit seinem Segen nach dem Norden,
Der Dänenfürst Fruote, Gott befohlen,
Ist aller Welt dafür bekannt geworden,
Die besten Ritter an den Hof zu holen.
Mag sein, daß ich was werde, wo im Streite
Mit Friesen winkt die Ehre für den Besten.
Und fall ich, sei ein Freund an meiner Seite,
Das zwei Geschlagne dann die Geier mästen.

MERLIN: Ein Glück ist solche Treu und Schicksalsgleiche,
Ich neide euch den Traum, der klar und heilig,
Doch euch erwarten buntgescheckte Reiche,
Drum habt es mit dem Sterben nicht so eilig.
Der Freund, den man gewinnt und der der rechte,
Ist mehr als Vaters Nam und Mutters Lieder,
Glaubt nicht, daß ihn der Nebel wiederbrächte,
Verfehlt ihr ihn und meint, ihr trefft ihn wieder.
(Er macht eine Pause, dann leichthin):
Doch langt nun zu, der Braten ist so mürbe,
Zu warten hieße endlich aufzugeben,
Ein mehr an Feuer alles Fleisch verdürbe,
Der Kairos ist das wichtigste im Leben.

ENGELHARD: Der Kairos – ja! – Ich glaube zu erkennen
Den Freund, der sucht wie ich ein neues Ufer.
Komm mit und laß dich Licht und Schatten nennen
In meiner Näh und bleib nicht Wüstenrufer!

MERLIN: Ich fahr mit euch nach Dänemark, Fruote
Soll euch erkennen und sein Erb das meine,
Und wird er einstmals gram vor eurem Brote,
So sorg ich, daß er sich verirrt im Scheine.

ENGELHARD (reicht Merlin den Apfel):
Nimm diesen Apfel an als Freundesgabe,
Mein Vater gab ihn mir zur Abschiedsstunde,
Er geh den Weg, den alles, was ich habe,
Beschreiten soll in unserm Bruderbunde.
(Während Merlin den Apfel ißt, erlischt das Feuer und der Braten löst sich samt dem Spieß zu einem Nebel auf.)

MERLIN (in etwas zweifelhaftem Ton):
Ich danke und beschwör bei allen Geistern,
Daß alles was ich sagte, wird geschehen,
Wir werden Großes wolln und Größres meistern,
Ich werde alle Wege mit euch gehen.
(nachdem er den Apfel aufgegessen hat):
Was schaut ihr so entsetzt? Sind euch die Bilder
Um so viel schärfer als das Wortgesegel?
Ja, in der Tat, das Ohr nippt sehr viel milder
Als Augen, die gewappnet hat kein Nebel.

ENGELHARD: Verzeiht, ich hab mich allzusehr verplaudert,
Mein Roß hat längst gefressen und getrunken.
Der Ritter reit, wenn der Augur noch zaudert,
Ihm reiche, daß das Schicksal hat gewunken.