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Aus »Musendämmerung. Tragödie«.   Vers 54380 bis 54456

ERSTER AUFZUG. VIERTE SZENE


Orest, Hauptmann.

OREST: Ich bin erschöpft und seh mich nicht gewachsen
Im Kreise der Gemeinen und Verstockten,
Grad wie ein Läufer, Blut in Schritt und Hachsen,
Derweil schon hungrig rings die Geier hockten.
Ich brauche Rat und Beistand im Verstande,
Denn nicht mehr fern erscheinen Katastrophen.
Wo ist die Weisheit offenbar im Lande?
Seit alters rief man nach dem Philosophen.
Eh Theophil die Bibliothek geschlossen,
Die dem Museion gab Aeonenwissen,
Hab Theon ich als Knabe oft genossen,
Und dabei mir die Nägel abgebissen.
Er gab heraus Euklid, die Elemente,
Des Ptolemäus Almagest erklärte
Elfbändig er, was er verwob und trennte,
Mich manchen Tag und manche Nacht beschwerte.
Jedoch er starb wie vieles hier am Hafen,
Einst schien mir diese Stadt die Weltenmitte,
Nun will ich ehr in einer Grotte schlafen,
Als daß mein Geist in dieser Wildnis stritte.
Ich tat, was billig schien, und hab vergessen
So viel dabei, was ich jetzt brauchen sollte,
Wie sprach doch Ajax leis und unvermessen:
Mag sein, daß sich der letzte Himmel trollte.
(Er starrt eine Weile vor sich hin. Eine Sturmböe hebt den Eingangsvorhang mit Gewalt und läßt ihn wieder fallen.)
Und dennoch ist Bewegung in der Stunde,
Der Geist kennt kein Verweilen, keine Starre,
Drum bin ich allen Geistes bar im Grunde,
Wenn ich der Dinge, die da kommen, harre.
(Er läutet.)

HAUPTMANN (tritt auf):
O Herr, was kann ich euerm Wohl verrichten?

OREST: Nicht ich, doch Rom hat alles Dienen nötig!
Drum ziemt sichs nicht, auf Eile zu verzichten,
Das Unheil zeigt die Krallen tausendpfötig,
Und mir obliegts, sie einzeln zu gewichten.
Bring er mir Pergament, ich hab zu schicken
Der Hauptstadt, die von Konstantin den Namen,
Sokrates den Scholastikus zu blicken,
Trag ich Begehr, drum solltet ihr nicht lahmen.
Er ist ein Mann der Kirche, doch bewandert
In unsrer Tradition wie kaum ein zweiter,
Eh hier mein Zweifel länger noch mäandert,
Helf mir der Durchblick dieses Mannes weiter.

HAUPTMANN: Verzeiht, es heißt, er weilt in unsern Mauern,
Grad gestern war er im Museion Hörer,
Drum soll es euch nicht Tag und Woche dauern,
Daß er euch heilt von dem Verdruß der Störer.

OREST: Die frohe Botschaft steht oft an der Pforte,
Wenn unsereins zumut ist wie im Grabe,
Drum eil er, und duchsuch im ganzen Orte
Die Häuser, daß ich Rat und Hilfe habe.
(Der Hauptmann ab. Orest geht ein paar Schritte, schenkt sich Wein ein, probiert und hält ihn ins Licht.)
Ich trinke Wein grad wie zu einem Feste,
Die Hoffnung ist der Königsweg zu lassen
Die Schrammen auf dem Weg, der voller Äste,
Und sich zu heilen und sich neu zu fassen.
Manch Gram ist nur der Einsamkeit geschuldet.
Wer aber vieles sah und weiß zu deuten,
Geselle sich dem Posten, der bloß duldet! –
Doch freilich – was erwart ich von den Leuten?
Vielleicht kann dieser Mann mir wenig geben,
Vielleicht ists Aufschub nur um zu verzagen?
Doch ist ein Aufschub nicht das ganze Leben,
Das wir verliern, was immer wir da wagen?
Der Wein ist gut und stark, ich muß mich hüten,
Daß ich im Trunk die Fassung nicht vertrinke,
Denn kommt das Aug zu nah dem Rot der Blüten,
Weicht die Gestalt dem törichtsten Geblinke.
(Pause.)
Die Zeit wird mit dem Warten immer länger,
Wie dem Verliebten, der sich zu gedulden
Nicht weiß und dem die Brust wird immer enger,
Und dabei liegt ein Weg vor mir mit Mulden.
Er ist ein Mann der Bücher und der Schriften.
Obs seine Kunst, mit Störrigen zu sprechen?
Vielleicht bringt er ein neues Faß von Giften,
Daß meine Nerven ganz zusammenbrechen?
Nur Zweifel, Zweifel – wird da nie ein Ende?
Wie eine Witwe schau ich aus dem Fenster,
Wenn ich zurück zum Born des Lebens fände!
Ich aber schaue immer nur Gespenster.