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Aus »Musendämmerung. Tragödie«.   Vers 55413 bis 55564

DRITTER AUFZUG. VIERTE SZENE


Orest, Hauptmann, Skotos, Sylvia.

HAUPTMANN: Verwundete! Mein Herr, die Morgenstunde
Bringt Greul in allen Gassen und Alleen,
Sie jagen überall wie tolle Hunde,
Und niemand kann dem Morden widerstehen.
Blutüberströmt, ein Mädchen trägt am Tore
Den Körper eines Jungen, eines Christen,
Ich sah ihn singen einst auf der Empore,
Nun stand er wohl auf einer dieser Listen.

OREST: Laß sie herein. Hier ist Asyl dem Frieden,
Den Frommen, welche Schlächterei erleiden.
Habt keine Sorg, daß Unrat kam hernieden,
Und Blut auf einen Vorhang, welcher seiden.

SYLVIA: O Herr daß wir um einen Hauch entronnen,
Herr Teukros sprach, ihr werdet euch erbarmen,
Ich bete, daß er leb in Christi Wonnen,
Denn ohne Schuld starb er in meinen Armen.
Laßt Wasser bringen für den armen Schüler,
Der nur aus Zorn auf seine Schul geschunden,
Recht frisches wär ein balsamgleicher Kühler
Für seine Haut, die brennt vor lauter Wunden.

HAUPTMANN: Es eile einer zu dem Brunnenschachte.

OREST: O nein, dies werd ich eigner Hand besorgen,
Denn Sünde wärs, wenn ichs nicht selber machte,
Der Herr spricht: wer da hat, der soll nicht borgen.

HAUPTMANN: Doch heißt es auch, man sei auf seinem Posten.
Ich fürchte, dieser Aufruhr wird noch schlimmer.
Die Morgensonne blutet uns im Osten,
Sie rufts herauf, was es auch sei, was immer.

OREST: Was ihr getan an dem geringsten Bruder,
Das tatet ihr an mir, die Pharisäer . . .
Ihr selber bringt Arabicum und Puder,
Ich komme gleich und seh die Wunde näher. (Ab.)

HAUPTMANN: Mir ists, als ob ich hörte die Trompeten
Von Jericho, die Mauern müssen stürzen,
Wir sollen nicht um eine Zukunft beten,
Der Herr will unsern Leidensweg verkürzen.
Noch nie geschahs, daß der Präfekt die Quelle
Höchstselbst gesucht, darum nicht lange deute:
Dies ist der Tag! Der Herr kommt mit der Helle!
Die Schlange Adams zeigt die Haut der Häute. (Ab.)

SKOTOS (schlägt die Augen auf, erschrickt):
O weh mein Todesengel! Meine Stunde
Kam früher als ich voller Hoffen meinte.
Doch was ist eines Feuerbalkens Wunde
Vor der, die mir im tiefsten Herzen weinte?

SYLVIA: Sprich nicht! Du bist zu schwach im Augenblicke,
Man bringt uns Wasser, Öl und gute Kräuter,
Der Wolken lenkt und alle Weltgeschicke,
Schuf auch dem bangen Lamm ein pralles Euter.
Wir sind im gut gesicherten Palaste,
Der Mann des Kaisers selbst versorgt den Wunden,
Vom Land der Magier brachte man die Paste,
Davon muß auch der Kränkeste gesunden.

SKOTOS (schluchzt):
Ach Aison spricht nie mehr vom Glanz des Geistes,
Und Teukros kam im Feuer um die Lunge,
Auch Ajax fiel, der herrliche, so heißt es,
Das Herz nicht faßt, was sagbar ist der Zunge.
Und das Museion, wo wir still gedachten
In Andacht und im Mut der klaren Worte
Der großen Denker und der Geistesschlachten,
Ist nicht mal mehr die Rose, die verdorrte,
Es ist ein Haufen Schutt, die schlanken Säulen,
Sie stürzten wie ein Grashalm, der verlodert,
Und durch den Garten wüste Rotten heulen
Und jubiliern, daß jeder Sinn vermodert.
(Orest bringt Wasser, Sylvia wäscht verkrustetes Blut ab.)

SYLVIA: Als Todesengel bin ich schlecht gelungen,
Denn du erwachst mir mehr und mehr zum Leben,
Und hab ich erst die Kruste abgewrungen,
Erkenn ich auch den lächelnden Epheben.

SKOTOS: Der Schrecken bringt Ergebenheit und Stille,
In Gleichmut seh ich Wunder mich umsorgen,
Wenn nicht der Tod des Herrn gesetzter Wille –
Wie denk ich dieser Zärtlichkeiten morgen?
Werd ich dann hoffen, ein Gebäude breche
In Feuersbrunst, daß sie die Wunden pflege?
Und bleiben meinem Herz nur Tränenbäche
In Einsamkeit auf unbestimmtem Wege?

SYLVIA: Was du so lange schweigend hast empfunden,
Der Schrecken löste deinem Herz die Spange.
Ich aber sag dem Heilen und dem Wunden
Ich lauschte oft dem herrlichen Gesange.
Denn in der Kirche reizten mich die Bilder
Nur wenig und die ausgefeilten Gesten,
Und wenn ich Gottes Wundernähe schilder,
Sagt dies der Chor der Jünglinge am ehsten.
Auch will ich nicht verschweigen, daß ich einen
Hab stets gehört im Lobeskreis der Sänger,
Ist dies unmöglich, dachte ich, dann keinen,
Dies sage ich dem schönsten Seelenfänger.

SKOTOS: Sag einer noch, daß ich entging dem Wahne!
Auf meinem Haupte des Museions Balken.
Bin ich nicht schon bei Charon auf dem Kahne
Mit Lippen, die schon spröde, weiß und kalken?

SYLVIA: Du bist so selig, daß die Kinderbilder
Mit Charon und dem Styx dir wiederkehren.
Mir selbst erscheint ein neuer Glaub ein wilder,
Der fähig nicht, den frühern Traum zu ehren.
Du stehst wie ich am Tor, an einer Schwelle,
Davor ein Abgrund gähnt, nicht zu beschreiben,
Doch auch die Anmut sagenhafter Helle
Und leise sagt, wir dürfen hier nicht bleiben.

HAUPTMANN: Der Mann des Kaisers reicht die Sakramente!
So wird mir mystisch das Geschehn der Tage.
Fügt ihr euch drein ins Schrein der Elemente
Und gebt dem Feind die Stätte sonder Klage?

OREST: Was rede ihr? Nur weil ich Wasser brachte
Dem Leidenden, verletzt um Christi willen,
Meint ihr, daß man mich hasenfüßig machte,
Mit Mystik meinen großen Zorn zu stillen?

HAUPTMANN: Nun ja, mir schiens bei solchen Demutsgesten,
Als hätt ein Geist von euch Besitz ergriffen,
Als ob das Lamm die Reiter rief, sie westen
Im Herzen mir, als wenn die Erd sie schliffen.

OREST: Ich seh nicht Zeichen, daß die Zeit sich neige,
Doch sehe ich den Pöbel marodieren,
Drum sag ich, auf die höchste Zinne steige,
Wir dürfen keinen Augenblick verlieren.
(Der Hauptmann ab.)

SYLVIA: Die Stätte ist bestallt mit Wehr und Waffen,
Herr Teukros riet, ich mög dich hierher bringen,
Und hat der Herr gewollt, wir mögens schaffen,
So sorgt er auch, daß du wirst wieder singen.

SKOTOS: Ach singen, jeder Sang verdarb im Blute,
Die Freunde starben und die Schule brannte,
Ich glaub nicht mehr ans Schöne und ans Gute,
Und leb ich noch, dann nur als der Verbannte.

SYLVIA: Doch ich bin hier und Helfer ungezählte,
Sie zeigen, daß die Botschaft nicht verdorben.
Bist du nicht der zu dieser Schau erwählte,
Und darum nicht im Feuersturm gestorben?

SKOTOS: Du schlepptest mich und solltest rascher fliehen.
Du wußtest nicht, wieviel an Zeit dir bliebe.

SYLVIA: Du meinst, die Feigheit läßt die Schwache ziehen
Und mitleidslos verkommen ihre Liebe?
(Sie schaut ihn vorwurfsvoll an.)

SKOTOS (stammelnd):
Was Liebe? Was gebrauchst du da für Worte?

SYLVIA: Du bist der meine stets in Lust und Wehe,
Erst hörte ich dich draußen an der Pforte,
Dann tret ich ein im Kerzenschein und flehe!
Doch in der Kirche, im Museion-Garten
Du bliebst so stumm dem Zittern und dem Zagen,
Ich mußte auf die Katastrophe warten,
Um endlich dir die Wahrheit auszusagen.

SKOTOS: O nein, ich hätte nie gedacht, ich würde
Vor deinem Blick bestehn, dem allzu strengen,
Die Lieblichkeit erschien mir nichts als Bürde,
Dem Leidenden die wunde Brust zu sprengen.
Nicht Aisons Geist, nicht Ajax Waffenstärke,
Nicht Teukros’ Mut und Umsicht sind mir eigen,
Ich prunke nicht im Worte, noch im Werke,
Und traute mich nicht, mein Gefühl zu zeigen.
Als Retterin beschämtest du den Schwachen,
Im Eingeständnis den geringen Glauben,
Jedoch die offne Rede macht mich lachen
Und Mittel sinnen, dir das Wort zu rauben.
(Er küßt sie.)