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Aus »Orpheus. Tragödie«.   Vers 52522 bis 52601

ERSTER AUFZUG. ZWEITE SZENE


Orpheus, Eurydike.

EURYDIKE: Wer ließ den Namen honiggolden klingen,
Daß ich erschauernd ihn ganz neu erfaßte?
Wer kann so übersterblich Liebe singen,
Daß ich verlaß die Wohnung und die Kaste?

ORPHEUS: Apoll gab mir die Leier und die Stimme
Und auch die Kraft, die Ohren aufzusprengen,
Ich fürchte mich oft selber vor dem Grimme,
Dems möglich, mir die Haare zu versengen.

EURYDIKE: Hat dir Apoll den Namen auch geraten
Der scheusten Nymphe, die noch keiner schaute?
Gar manche, die den Gott recht schlecht vertraten,
Erreichten nur, daß mir ganz gräßlich graute.

ORPHEUS: Das Sehnen kam von Herzen, und die Worte
Gab mir der Wind, der schmeichelt oder rüttelt,
Es schien mir Reichtum hier an diesem Orte,
Daß Früchte falln, wer immer hier auch schüttelt.

EURYDIKE: O nein, den Zugang zu den Federleichten
Fand nie ein Riese, der im Walde trampelt,
Das Wimmern, daß die Blätter sich erweichten,
Wird keinem Säugling, der erbittert strampelt.
Der Name ist für jed Geschöpf die Fessel,
Du sangst ihn mir, drum muß ich dir gehören,
Ich hoff, dein Blumengruß ist keine Nessel,
Und nicht zum Spotte willst du mich betören.

ORPHEUS: Wie könnte ich ein lichtgeflochtnes Wesen
Mit Grobheit oder schlechtem Scherz verbittern?
Von Gaias oder Uranos’ Genesen,
Läßt keine sonst die feinsten Härchen zittern.
Die Anmut selber mein ich hier zu schauen,
Obgleich verwöhnt von Mutters hohem Stande.
Sollts wahr sein, daß die Hulden mir vertrauen
Und reichen mir die schlanke Hand zum Bande?

EURYDIKE: Wenn du nicht scherzt, so bleibt mir zu vermuten,
Daß du die hohe Macht in deinem Singen
Nicht faßt, die von dem Flügelpaar-Beschuhten
Erfunden ward, die Seelen heimzubringen.

ORPHEUS: O nein, nicht jenen hab ich angerufen,
Der Zaubrern frommt, dem Händler wie dem Diebe,
Nicht seinem Tempel suchte ich die Stufen,
Ich tastete im Gegenteil nach Liebe.

EURYDIKE: Mag sein, mein Name deutet ihm entgegen,
Mir selber blieb dies Rätsel stets verborgen,
Doch konntest du mich also tief bewegen,
Gelingts dir auch, das übrige zu sorgen.

ORPHEUS: Wenn ich, wie du verrätst, dein Herz gewonnen,
So will ichs hüten, bis mich Hermes führte
Zum Hades, und die letzte aller Sonnen
Mir sank wie alles, was mir sonst gebührte.

EURYDIKE: So spricht der Mann, dem ich im Kern verfallen,
Wer also minnt, soll hegen auch die Hülle,
Ich hab entsagt den Baumesrechten allen
Und harr des Winks, der mich mit Weisung fülle.

ORPHEUS: Ich bin der Sohn des Königs, dich behüte
Dein neues Haus auf einem linden Hügel,
Ein sanftes Fohlen wartet im Gestüte,
Denn hierzuland gebraucht man keine Flügel.
Auch sonst sind unsre Bräuche recht verschieden
Von denen Walds, wir trinken aus dem Becher,
Die pralle Sonne wird zumeist gemieden,
Für Luftbewegung sorgen Seidenfächer.
Geleucht kommt nicht von Pilzen oder Mooren,
Wir stellen Wachs auf Glas und auf Metalle,
Zurückgezogen wird geliebt, geboren,
Und was im Haus geschieht, erfahrn nicht alle.

EURYDIKE: Ich liebe deine helle, klare Stimme,
Die Strenge, alles rein und recht zu stellen,
Kein Heim, wo du regierst, wär mir das schlimme,
Erlaubt es nur, mich ganz dir zu gesellen.

ORPHEUS: Es ist auch Brauch, daß man die Hochzeit halte,
Mit Ahnensegen tausche Zung und Ringe,
Sich müh, daß bald ein Erb im Hause walte
Und einst an unsrer Statt den Göttern singe.
Drum will ich dich den Eltern, allen beiden,
Gleich bringen, daß uns niemand noch begegne,
Solange sie noch Ungewißheit leiden
Und eh uns Vaters große Weisheit segne.

EURYDIKE: Wohlan, die Sonne steht schon weit im Westen,
Und vor dem Dunst wolln wir den Horst besteigen,
Ich traue deinem Griff, dem ruhig festen,
So nimm mich hin, denn ich bin ganz dein eigen.
(Orpheus hängt die Leier um und nimmt Eurydike auf die Arme. Es wird dämmrig.)