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Aus »Orpheus. Tragödie«.   Vers 53916 bis 54023

DRITTER AUFZUG. FÜNFTE SZENE


Orpheus, Kalliope am neuen Tag.

KALLIOPE: Mein Sohn, ich seh dich endlich wohlbehalten,
Du schliefst die letzte Nacht nicht im Palaste,
Mir schwanten da die ärgsten Schreckgestalten,
Weil hart der Vater seine Rede faßte.

ORPHEUS: O sag dem Vater bitte, daß entschieden
Ich hab und zwar gehorsam seinem Sinne,
Er wähle eine Frau für mich in Frieden,
Daß ich das Werk des Stammerhalts beginne.

KALLIOPE: Du kennst mich nur als Mutter. Doch die Musen
Sind nicht so bienenhafte Dienerinnen,
Wie Dichter sagen, die von ihrem Busen
Behaupten, daß da Milch und Honig rinnen.
Die Frauen hält man selten für Tyrannen,
Dies wohl, weil sie nicht laut und schneidend sprechen,
Doch strenger sie die Ordnung sich ersannen,
Der Langmut und Saumseligkeit Verbrechen.
Als Muse bin ich keine von den Täubchen,
Das so ein Recke wickelt um den Finger,
Ich wußte stets: ich bin im All kein Stäubchen,
Und brauche keinen Maß- und Formenbringer.
Ich sag dies, um des Vaters Müh zu zeigen,
Er warb um mich mit Winkeln und Gelenken,
Die selten nennt ein junger Mann sein eigen,
Und hielt nicht ein, sich neue auszudenken.
Er hob sich weit aus dem, was seine Väter
Je wagten, um die Schönste zu gewinnen,
Er trieb den Tag und suchte nie ein Später
Und kämpfte wie ein Leu mit allen Sinnen.
Vielleicht ist dieser Kampfgeist dir entgangen,
Weil nach dem Siege üblich ist der Frieden,
Doch seh ich seine Stirn und seine Wangen,
Verzaubert mich der Mut des Ikariden.
Zusammenfassend geb ich zu bedenken,
Dein Vater ist ein Mann, für den die Liebe
Der höchste Gott, dem Minderes zu schenken,
Der ärgste Frevel aller Zeiten bliebe.
Darum hast du ihn gründlich mißverstanden,
Zu meinen, daß er pferche dich als Bullen,
Dir kam die Lieb als Lebenskraft abhanden,
Drum pön ich deine eingespielten Schrullen.

ORPHEUS: Ich bin verzweifelt, Mutter, ich verschmachte!
Man gab mir Wein, den ich zuvor nicht kannte,
Der erst mich rettungslos betrunken machte
Und dann den Traum in reinster Klarheit sandte.
Eurydike, mein Herz, kam von Zypressen
Geleitet aus dem düsteren Verliese,
Sie hat so sehr ihr Innerstes vergessen,
Als ob Hephaist mir seine Asche bliese.
Nun seh ich klar, es gibt kein Wiederholen,
Der Tod kann mich der Liebsten nicht vereinen,
Unwiderruflich ist mein Herz bestohlen,
Und darum kann ich nicht einmal mehr weinen.

KALLIOPE: Der Tod ist nie das Mittel um dem Tode
Zu fechten, denn dies frommt allein dem Leben,
Von Treu und Trauer nährt sich der Rhapsode,
Doch alle die er lauschen läßt und schweben,
Sie könnens nur, weil völlig nicht erloschen
Die Flamme, die begierig nach dem Glanze,
Wird aber längst Gedroschnes neu gedroschen,
Verfalbt die Melodei zum Totentanze.
Zwar ist dein Herz verwundet, doch im Haine
Webts fort und wandelts, atmet jede Pore,
Nach innen treibt der Löscher dich im Weine,
Nach draußen findst ein offnes Tor im Ohre.
Eurydike, du durftest sie erkennen,
Weil du so frei warst und so ungebunden,
Läßt du die Flamme unvermindert brennen,
Hat dich der Pfeil des Eros rasch gefunden.

ORPHEUS: Doch ein Geheimnis heg ich, das der Liebe,
Der neuen, immerfort entgegenstünde,
Wie furchtbar, wenn es gut versiegelt bliebe,
Wie furchtbar, wenn die Heimlichkeit entschwünde:
Ich war im Hades, sah die Herrscher thronen,
Ich kenne ihre harten Argumente,
Ich brachte sie dahin, mich zu belohnen,
Mir wurde eins das allgemein Getrennte,
Und nun das Fazit dieses Überhebens,
Es lautet, daß die Treue die Chimäre,
Ich weiß nun, daß es das Gesetz des Lebens,
Zu tun, als ob die Treue wirklich wäre.

KALLIOPE: Du kamst zum Thron und hast nicht draufgesessen,
Dies ist ein großer Unterschied, mein Lieber,
Was offenbart im Angesichte dessen,
Ist wenig mehr als Untertanen-Fieber.
Einst wird wer kommen, sterben, auferstehen,
Doch nicht begnadigt von den alten Herren,
Er wird als Sturm durch die Zypressen wehen
Und Hades von den Marmorstufen zerren.
Er wird die Nekropolengrotte sprengen,
Und jene, die ihm treu und ihrem Worte,
Sie treten, ohne Haar und Haut zu sengen,
Im Lobgesange durch die Himmelspforte.
Und wenn man glaubt, daß diesem dies gelänge,
Ist Treue möglich, immer und schon heute,
Ist zweien klar, daß sie der Tod nicht fänge,
So hat der Tod verloren Recht und Beute.

ORPHEUS: Wie soll ich glauben und im Leben finden
Die Frau, die solches heiter mit mir trüge?
Erschreckt mit Größe ein gebotnes Ringen,
So greift der Mensch doch gerne nach der Lüge.
Gleichwohl, ich wills bedenken und besinnen
Und lauschen, obs erklingt in meinen Liedern,
So mag auch die Geschichte neu beginnen
Und mich und den, der kommen wird, befiedern.

KALLIOPE: Versuch es, denn der Glaube ist die Gnade,
Der denen wird, die reine Herzen regen,
Sei dir für alles Mindere zu schade,
Und glaube an den unumschränkten Segen.
(Sie geht langsam ab. Orpheus legt sich flach und starrt in den wolkenlosen Himmel.)