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Aus »Orpheus. Tragödie«.   Vers 53844 bis 53915

DRITTER AUFZUG. VIERTE SZENE


Orpheus, Eurydike, Zypressen.

ZYPRESSEN: Erwache Orpheus, unserem Versprechen
Entsprachen wir und grüßen aus dem Schatten,
Eurydike wird gleich ihr Schweigen brechen,
Du siehst sie leicht auf unsern Rasenmatten.

ORPHEUS (mit schattenhaften Bewegungen):
Zypressen ihr, geschwisterlich den Eiben,
Ich danke euch wie einst für alles Gute,
Eurydike gedenkt ihr zu verleiben,
Wie wird mir angst und bang dabei zumute.

EURYDIKE: Der Vollmond läßt dich klar und deutlich sehen,
Ich komm und treff dich heil an diesem Borne,
Ich lausche und mich hindert am Verstehen
Kein Eber und kein Höllenhund im Zorne.

ORPHEUS: Seit Wochen mag ich tausend Dinge sagen,
Doch jetzt ist mir der Mund fast wie versiegelt,
Ja, eins will ich zuallererst dich fragen:
Ist dein Gefängnis dauerhaft entriegelt?

EURYDIKE: Was ist denn Dauer? Bin ich im Momente,
So werd ich sonst auch folgen deinem Rufe,
Die Dauer ist ein Wort für Elemente,
Nicht Wünschen, die zu sterblichem Behufe.

ORPHEUS: Du sprichst so kalt. Einst warst du voller Feuer,
Gesogen voll mit Sonnenlicht im Hage.
Ist dein Verweilen jetzt nicht ungeheuer?
Sag an: wie überstehst du deine Tage?

EURYDIKE: Für Eiben, die der Wind begabt zu singen,
Ists Dämmerlicht dem oben nicht so ferne
Wie dir, der breiten will die Adlerschwingen
Und greifen will, am liebsten auch die Sterne.

ORPHEUS: Ja, fehlt dir nicht der Sonne hartes Brennen,
Das Hörnchen, das umherwirft mit den Zapfen,
Die Pilze, welche Eiben trefflich kennen,
Die Wandrer, die durchs dürre Dickicht stapfen?
Willst du nicht, daß dich anspricht eine Stimme,
Die weiß, du bist so scheu und so verhalten?
Ja, fehlt dir nicht Gesumm von mancher Imme,
Die sucht ein Astloch, um im Stamm zu walten?

EURYDIKE: Ich misse nichts und suche keine Sorge,
Mein Wesen wird vom Wohnort nicht betroffen,
Es macht mich froh, daß ich nichts Fremdes borge,
Um mich in diesem dürftig zu verstoffen.

ORPHEUS: Eurydike, du sprichst wie ein Orakel,
Das im Verdacht, daß es dem Pilger spotte,
Hast du vergessen, welches Mordsspektakel
Dich trieb in diese jammervolle Grotte.

EURYDIKE: Ich tat nie anders und es hat gefallen
Dir, als ich stand verzweigt und rindenästig,
Ich kann zurückgehn in die Dämmerhallen,
Wenn dir die einst Geliebte heute lästig.

ORPHEUS: Eurydike, ich liebe deine Weise
Dich auszudrücken und die Welt zu spiegeln,
Doch kalt wardst du auf deiner langen Reise,
Ich fürchte fast, du kannst dich nicht entigeln.
(Er faßt sie an der Hand, sie erbleicht und entschwindet.)

ZYPRESSEN: O weh, du darfst die Kehrende nicht fassen,
Du bannst sie mit dem blutig harten Griffe,
Wir dürfen dich nicht also tölpeln lassen,
Sonst sinken wir mit ihr im selben Schiffe.

ORPHEUS: Von Nicht-Berühren ward mir nichts gesprochen,
Ich hätt es auch aus reiner Scheu vermieden,
Doch ist sie so verändert und zerbrochen,
Da war zu prüfen, ob die Pulse sieden.
Dort brauch ich keinen Arzt bei dieser Kälte,
Das Trugbild kann mein wundes Herz nicht heilen,
Sie hat gesorgt, daß ich Gespenst nicht schelte
Dies Bild in ihrem raschesten Enteilen.

ZYPRESSEN: Was suchst du Sänger, der uns pönt wie keiner,
Sie war dir fromm und lieblich und gewogen,
Die Kälte ihrer Hand stammt doch aus deiner,
Du kriegst die Karte, die du selbst gezogen.

ORPHEUS: Ich hab genug von dämmernden Zypressen,
Ihr seid doch nur die Ausgeburt des Weines,
Es scheint mir wirklich besser zu vergessen,
Ich pfeife auf die Perfektion des Scheines.
(Dicke Wolken verdunkeln den Mond.)