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Aus »Orpheus. Tragödie«. Vers 53002 bis 53081 ZWEITER AUFZUG. ZWEITE SZENE Orpheus, Hydra. HYDRA: Wer schmäht so laut die Ewigen und Lichten, Wer wagt in dieser Nacht voll Not und Grauen Auf allen Beistand trotzig zu verzichten Und sucht die Welt im Grunde umzubauen? Wer rüttelt an den Ketten, die Titanen Und Gaias frühe Früchte furchtbar fesseln? Wer wagt, die mürbste Stunde anzumahnen, Da Urschmerz schäumt aus allen Hexenkesseln? Wer hebt die Welt mit Worten aus den Angeln? Wem wars gewährt, Undenkbares zu singen, Wer wirft ein Seil, sich durch das Nichts zu hangeln, Und spottet selbst des Adlers weiten Schwingen? ORPHEUS: Ich, Orpheus, bins, der alles hat verloren, Drum auch die Furcht, die an Besitz gebunden, Ich habe mich dem ärgsten Ruf verschworen Nun sag – hab ich den Lauscher schon gefunden? HYDRA: Ich träume, träume, und was ich begreife, Ist also rasch, wie es mir kam, vergessen, Die große Zeit erinnernd ich zerschleife, Bis ich vergesse, was ich einst besessen. ORPHEUS: Versink mir nicht, denn nur auf diese Stunde Hast du gehofft, erschien es auch vergeblich, Ich rufe zum Gericht, die Zeus zum Bunde Sich nahm und schwor, da es am Styxe neblich. HYDRA: Nur eins der Häupter neun ist mir geblieben Und dieses ist gefesselt alt geworden, Seit Herakles mir mit Gewitterhieben Und Fackeln kam, die Göttin zu ermorden. Der Zeussohn zog die Blutspur durch die Winde Damit sein Vater unvergleichlich stünde, Er tilgte alles ältere Gesinde Um selbst zu richten, was sei gut und Sünde. So blieb ihm auch Argolis nicht verborgen, Nach Lerna fuhr sein Neffe mit dem Wagen, Entschlossen, für die Zukunft vorzusorgen, Ließ er mein Haupt den Felsenbrocken tragen. Daß Zeus ich haß, wird keinen überraschen, Der meinen Stammbaum kennt und meine Schande. Doch sag: wie willst du unsre Erde waschen Und merzen ganz die ausgekochte Bande? ORPHEUS: Mein Herzblut sank von einem Schlangenbisse, Und Hermes führt es in die kalten Fluren, Daß ich ihm seine Beute noch entrisse, Folg ich des Todes unsichtbaren Spuren. Die Götter, die vor Hades Herrschaft älter, Vermögen mich mit Weg und Wink zu leiten, Falsch nenn ich einen abgeschiednen Kelter, Darum sich Furcht und Redescheu verbreiten. HYDRA: O weh, ich bin doch selber eine Schlange! Wie soll ich einem Gattungsfeinde weisen? Frag doch den Sperber, der im harschen Fange Den Mut dir trag und dein empörtes Eisen. ORPHEUS: Nicht pöne ich die Natter, die getreten Unschuldig tat, was ihr gereicht zum Schutze, Die Lichten, die das Aug der Maid verwehten, Sie machten sich das arme Tier zunutze. Von den Olympiern kam uns ein Verführer Mit Honig, Käse und mit den Oliven, Als Zündler und gemeiner Zwietracht-Schürer, Mit dem die meisten Mädchen gerne schliefen, Begehrte er mein Weib sich zum Genusse, Auf daß sie, zu entrinnen seiner Kralle Nichts mehr als floh und so zum bösen Schlusse Reintappte in die aufgestellte Falle. Nun such ich bloß den Eingang in die Schächte, Um dieses grobe Unrecht zu verklagen, Den Trost allein die Wiederkunft erbrächte Der Gattin, die beflügelt all mein Wagen. HYDRA: Es langweiln mich die albernen Geschäfte Der Lichten, der Heroen, der Gemeinen, Doch dem Rebellen wider Himmelskräfte Mag sich, was mir entbehrlich längst, vereinen. Tritt her und tränk den Taxusstab im Gifte, Das meinem Schlund entquillt als grüner Geifer! Dann buchstabiert er gleich dem Kohlenstifte Den weitren Weg dem unbeherrschten Schweifer. Doch meid mich dann, ich habe noch zu träumen, Zwar hab ich Zeit, doch neige ich zu hasten, Gar gräßlich wirds dann in der Höhle schäumen, Daß schaudern selbst des Felsens spitze Quasten. (Orpheus berührt die Hydra mit dem Stab, der zu leuchten beginnt, während sie versinkt. Man hört Wasser rauschen.) |