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Aus »Die alte Linde. Erstes Buch«. Gedichte 2012 Vers 40508 bis 40555 REINBERGER LINDE Sie war schon vor der Kirche hier, Den Höfen und dem Sühnestein, Und das Geschäft von Mensch und Tier Ist ihr wie Frost und Sonnenschein. Als Schubert sang vom Lindenbaum, Der vor dem Tor am Brunnen stand, Da galt das Weib vom Strelasaum Als größter Baum im deutschen Land. In ihrem wuchtigen Gehöhl Ganz trocken bleibt der Wandersmann, Der Duft von ihrem Blütenöl Verheißt, was sie ertrotzen kann, Wo Hanse, Dänen, Schweden Gast, Eh auch die Preußen schlug der Ruß, Dort schirmt und schattet ohne Hast Die Knorrige, die treiben muß. Sie bietet Raum, sie bietet Zeit, Inwendig und nach außen so, In ihrer linden Fruchtbarkeit Würd auch der ganz Zerknirschte froh, Wär er zu blind nicht und zu stolz, Nach Peinlichkeit und Kreuzverhör Zu rühren das erlauchte Holz, Daß es mit Lieblichkeit betör. Solang der Zeit von tausend Jahrn Solch ein Geschöpf vergeben kann, So ist die Fahrt nicht ganz verfahrn, Weil alles sich noch wenden kann, So sind die Quellen nicht vernarbt, Daß Engel blasen zum Gericht, Drum geht zu mehrn, was ihr erwarbt, Und lobt die Erde und das Licht. Der Freigeist selbst, das Lästermaul, Sie schweigen vor der Wundertat Der Seligkeit, die schlafensfaul Sich so viel Winterschmerz erbat, Die Mutter ist von Zweig und Blatt Und die gebiert, solang es tagt, Mehr als die Völker Glauben hat Und mehrt ihn täglich unverzagt. Drum geh nach Pommern, saug das Grün Zu Reinberg als den Lenz der Welt, Erfahr, wie ungebrochnes Mühn Dem Herrn der Himmelsscharn gefällt, Und zeig die Erde und das Licht Den Augen trüb, den Ohren matt Im Herz, das fein geädert spricht Das Gotteswort als Lindenblatt. |