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Aus »Die alte Linde. Erstes Buch«. Gedichte 2012 Vers 40556 bis 40635 HEILIGELINDE Im Warthegau, Preußen und Pommern Ein Dorfname immerfort kehrt, Dort hat sich in tausenden Sommern Ein Baum allem Wandel verwehrt, Ob Slawen, Germanen, ob Balten, Es ward die verstorbene Frau Vom Ästicht der Linde gehalten, Ihr fingen die Blätter den Tau. Als Brauchtum und mündliche Schule Zu Lehre sich dickten und Schrift, Entsagte die Jungfrau aus Thule Dem Pfeil, der den Gration trifft, Und also dem Sternschnuppen-Leuchten Ein menschliches Antlitz gedieh, Denn wie sich die Blätter befeuchten, Weint unter dem Kreuze Marie. Was einmal geschehen, ward immer, Was fern, ward im Herzen zuhaus, Und aller Gestirne Geflimmer Ein Chor ward und sagte es aus, Und nennt auch der Klöster nur eines Sich Heiligelinde so früh, Die Herrin des Bluts und des Weines Ist immer im Lindengeblüh. Es ziemt eine Wallfahrt dem Quester, Weil wir unsres Orts nicht gewiß, Doch Bäume als heilige Nester Erfuhrn wie der Himmel zerriß. Bei manchen ist uns es verkündigt, So steht auch im Ermland der Baum, Der manch einen Pilger entsündigt, Obgleich er ihm grünt nur im Traum. Es wird uns gesagt, daß dem Schwerte In Rastenburg einer entkam, Er schuf aus der Lindenbaumgerte Ein Kindlein in Muttergotts Nam, Man ließ ihn ob seiner Ikone, Nach Rößel er querte den Wald, Des Lindenbaums mächtiger Krone Vermachte er seine Gestalt. Nun häuften die Wunder sich dorten. Doch war das Geschenk der Beginn? Die Orte, die Heilzeichen horten, Sind älter als späterer Sinn. Hier suchten schon Heilung die Heiden, Als Bethlehem keiner gewußt, Hier traf sich Gefolgschaft zu Eiden, Hier traf sich die Liebe zur Lust. Weil Weisheit den Kranz nicht zersplittert, Muß tiefere Wahrheit seit je Den Stumpf, der im Herbste verwittert, Bepflanzen, daß Lenze er seh, So dringt auch des Heiligen Landes Erlösung nach Norden nur vor, Wächst Wäldern des baltischen Sandes Für sie das ureigene Ohr. Und weil dies geschehn, ist es müßig, Daß Odin man scheide von Christ, Die Botschaft kam krontaubenfüßig, Nur Listige nennen sie List, Und wer sie als Axt oder Knute Mißdeutet, folgt einem Phantom, Hält Barfüßer gegen Beschuhte Und Felsgrotten gegen den Dom. Denn daß wir mit Farben und Klängen Ihn preisen, Basiliken baun, Heißt nicht, allen Lindengesängen Des heimischen Walds zu mißtraun, Es ist doch das Menschengemäße, Daß Liebe auch künstlich sich schmück, Und wer uns zerschlägt die Gefäße, Gewinnt keinen Inhalt zurück. Drum frag nicht in Heiligelinde, Ob römischer Kultus dir taug, Auch du bist zur Hälfte der Blinde, Und urteilst mit einzigem Aug, Die Säulen, das Licht, die Gewänder, Sie wanken wie Linden im Wind, Doch daß sich auch Gott einmal änder, Das glaubt nur ein törichtes Kind. |