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Aus »Idäisches Licht. Zweites Buch«. Gedichte 2006 Vers 12964 bis 13083 DELOS Opalenem Dunstkreis enthoben, Thront Delos idäisch bestrahlt, Das Auge, das scharfblickt hier oben, Ahnt kaum, was im Küstensand fahlt – Wer mag aus der Mitte entscheiden, Ob nah die Kykladen, ob fern, Und zweifeln, wenn Griechen beeiden, Daß Delos ein wandelnder Stern? Und ist nicht verbürgt und geschrieben, Daß Heimat Erwählten nicht frei, Daß der, der herausragt, getrieben, Im Nebel der Niedrigste sei? Wo Proteus den Wächterblick schlürfte, Schuf Zeus uns das herrlichste Paar, Als er, der mehr kann, als er dürfte, Sich selber der Heilsbringer war. Die Zeus und die Weissagung büßte, Unstet, wenn es nachtet und tagt, Hat, wo auch die Erde nicht grüßte, Uralte Uräus gejagt. Mag Glück auch vergolden die Ketten, Ihr Los uns das herrlichste sein, Aus schrecklichsten Nöten zu retten, Stand Delos, der schwimmende Stein. Nicht Willkür noch dumpfe Instinkte Sind Grund für die Götter zu nahn, Das Traumbuch, in dem einer hinkte, Verdankt sich nicht eigenem Plan, Das Dunkle, das sie zum Kadaver Und Herrn macht und drin sich verleibt, Weiß, daß der Olymp kein Palaver, Wie Lukian, der Spötter, uns schreibt. Die Lust ist ein Auftrag und Waffe, Der Phallos, der tötet, erzeugt Den Krieger, bereit, daß er schaffe Die Macht, der die Liebe sich beugt, Im Kreislauf von Sinken und Steigen, Blühn Muster, doch was wir erschaun, Muß welken im Liebeslust-Reigen Auf Delos, dem schwimmenden Faun. Die Mutter führt grün in Ägypten Papyrus als Staude im Schild, Als Vulva akkadischer Glypten Ist sie uns vertraut, bis ins Bild Homer sie uns heimholt, verletzlich, Vom Rang ihrer Nachkommen taub, Vom Schrecken der Hera entsetzlich Geplagte im All und im Staub. Der Frau, die ihm groß und sein Leben Schor Zeus sich sein goldnes Gelock Und machte sich männlich ans Geben Und solcherart reif und barock Die Pfeilkraft des Eros zum Putter, Den siebenten Tag dem Demiurg Und zweithin zur Zwillingspaar-Mutter Auch Delos, die schwimmende Burg. So wurde, uns Delos und Leto Zu einen, verschlungen die Zeit, Zwar wagt die Vernunft hier ein Veto, Doch weiß sich der Mythos gefeit Vor allen, die, ihn zu entrechten Phantastisch den Logos bemühn, Im Land, das die Zweifler erdächten, Würd nicht mal die Primel erblühn. So weihte der Himmelsrund-Ahne Die Insel vor jeglicher Zeit, Verbannte das Menschlich-Profane, Die Liebe, die Lust und das Leid, Geburt und Bestattung als Makel, Im Zentrum von Diptam umblaut Ruht Python, des Sohnes Orakel Auf Delos, der schwimmenden Braut. So mag nicht verwundern, daß weither Die Jungfrauen kamen im Ring, Die Gnade zu preisen, daß seither Sie ewig ihr Tanzen umschling, So wird uns Musik der Kykladen Erinnert und hell im Idol, Das weiß aus den Meeresdunst-Schwaden Steigt wie der Kristall aus der Sol. Zwar solln diamantene Säulen Die Insel befestigen seit Gedämpfter als Speere und Keulen Verjährt und entschieden der Streit Des Himmelspaars, doch der Charakter Der Insel gedieh nicht zum Zwerg Der Ordnung und Dichters Dreiakter, Und Delos blieb schwimmender Berg. Es gibt hier nicht Bauern noch Ammen, Nur Frösche, die mitleidlos schrein, Die Stierhörner himmelher stammen, Sie schließen die Kultstätte ein, Sie fordern, gereiht zum Quadrate Verdopplung und Wurzel aus zwei, Dann würden die Bürger im Staate Vom Wüten der Beulenpest frei. Die Krankheit zu bannen, gesetzte, Vermag nur ein Bruch, wie der Gott Im Werden die Ehe verletzte, Die Treue und üblichen Trott, Daß Ratio der Zahlenwelt fehle, Sie Selbstüberwindung erfleh, Schlag links dir das Herz, ob die Seele Auch treu sei wie sonst nur die See. Es mag dir der Pythische raten, Ersangst du dich reif für den Gang, Du sollst durch die Sumpflandschaft waten, Daß groß dich der Marmor empfang, Den Naxos vor Zeiten gespendet, Daß Reichtum und Glaube bekannt, Zum Gott, der die Verse dir sendet Auf Delos, das schwimmende Land. So schließt sich ein Kreis, den die Wachtel Vor aller Geschichte begann, Der Python bewacht eine Schachtel Mit Perlen, die keiner gewann, Die auch die Olympier nicht sehen In heiligster Grotte Gehäus, Sie werden uns länger bestehen Als selbst der idäische Zeus. |