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Aus »Muttermord. Tragödie«. Vers 66598 bis 66654 ZWEITER AUFZUG. ERSTE SZENE Eine Plattenbauwohnung in München-Neuperlach. Im Wohnzimmer ein großer Spiegelschrank mit Schminktöpfchen und Kosmetika. Davor liegend eine weibliche Leiche, Mitte 50, mit hellblond gefärbtem Haar. Ein junger Mann sitzt am Tisch, die Aufmerksamkeit ganz nach innen gerichtet. Neben ihm eine gepackte Reisetasche, auf der Tischplatte ein beflecktes Messer. Der Kriminalrat tritt durch die Tür herein, der junge Mann steht auf und gibt ihm die Hand. Ein Arzt läuft sofort auf die Leiche zu. An der Tür ist ein weiterer Polizist zu sehen. Orhan, Krimanalrat Baff, Arzt. ORHAN: Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, Ich rief Sie her, denn hier gabs ein Verbrechen, Ich weiß, Sie haben Mangel nicht an Sorgen, Doch nutzt es nichts, die Fakten abzuschwächen. Frau Ines Kluge liegt in dieser Stube, Sie ward mit Stich ins Rückenmark getötet, Ihr Geist fuhr rasch und schmerzlos in die Grube, So daß der Teppich nicht vom Blut gerötet. Die Waffe ist hier auf dem Tisch zu schauen, Als Täter bin ich, Sohn Orhan, geständig, Ich tat es einsam, ohne wem zu trauen, Und ich vollbrachte alles eigenhändig. (Man hört ein Glockenläuten von der nahen Kirche.) ARZT (nimmt den Kriminalrat beiseite und nur zu ihm): Kaltblütig ging man vor und sehr präzise, Das schaut mir aus nach einem Profi-Killer, Arglos das Opfer, Blitzschlag die Devise, Da kam nicht mal ein Schrei, ein kurzer, schriller. (Der Kriminalrat setzt sich Orphan gegenüber an den Tisch und streicht sich die Haare aus dem Gesicht.) BAFF: Wie war das möglich? Wer hat Sie das Töten, So sicher, so genau und rasch gelehret? Ein Kaltblut ist für diese Tat vonnöten, Daß sich das Opfer nicht verzweifelt wehret. ORHAN: Da brauchte ich nur einen Bildatlanten, Waldeyer, den Sobotta oder Netter, Der zeigt genau die schwach geschützten Kanten, Daß man der Blüte nehm die Blütenblätter, Mir wars in Filmen und in Groschenheften Oft arg, wie da ein armes Opfer flehte, Drum überließ ich mich den raschen Kräften, Wo spindeldürr der Ufersaum der Lethe. BAFF (wischt sich erneut den Schweiß von der Stirn): Die Rede taug mir nicht für Protokolle, Das hieße Scherz mit dem Entsetzen treiben, Ich seh des Richters Aug, das grauenvolle, Und weigre mich, die Texte aufzuschreiben. (Pause. Er schaut auf die gepackte Reisetasche.) Was ist da drin? Was wolln Sie mit der Tasche? ORHAN: Ich hab sie fürs Gefängnis vorbereitet, Zahnpflege, Seife, Traumnotizen, rasche, Und was mich sonst im Leben stets begleitet: Die Bücher, griechisch, der Homer, Terpander, Tyrtaios, Archilochos, der Epheser, Parmenides trifft hier Anaximander Und manch modernen Idareich-Verweser. Ich hoffe sehr, man wird es mir erlauben, Lebhaft mit der Lektüre fortzufahren, Der Trost hilft mir, an einen Tag zu glauben, Da sich erfüllt hat der Tribut an Jahren. BAFF: Sie sind ein kluger Mensch, der planvoll handelt, Sie schätzen Bildung, Studium, klare Worte – Wie kams, daß über einem Abgrund wandelt Die Seele und die Sittlichkeit verdorrte? ORHAN: Die Tat, die Sie als sittenlos verdammen, Geschah im Zorn nicht oder in Erregung, Ich merkte nur, der Kreis schloß sich zusammen, Den Rest besorgte sparsamste Bewegung. Das Wissen, das wir meistens überschätzen, Versagt, erscheint das Fatum unerbittlich, Und was die Himmel in die Zeiten setzen Ist niemals menschlich und auch niemals sittlich. |