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Aus »Muttermord. Tragödie«.   Vers 66538 bis 66597

ERSTER AUFZUG. SECHSTE SZENE


Professor Späth, Kluge, mit verweintem Gesicht, schluchzend.

KLUGE: Ich hielt Sie für den Meister ihres Faches,
Ich hab mich Ihren Künsten hingegeben,
Der Specht in meinem Kopfe riet mir: Mach es!
Nun haben Sie verpfuscht mein junges Leben.

SPÄTH: Verpfuscht ist nichts und alles ist zu richten,
Nur Ruhe ist verlangt und klares Denken,
Sein Sie vernünftig! Schluß mit den Geschichten,
Ich werde Ihre Sache bestens lenken.

KLUGE: Ach geh! Was haben Sie mir anzubieten,
Den Abbruch – das verdirbt mir all mein Hoffen.
Ansonsten? Ach, ich lebe unter Nieten
Und bin von ärgstem Mißgeschick betroffen.

SPÄTH: Es ist kein Unglück und auch keine Krise,
Natur hat stets die Macht sich einzumischen,
Und düngt der Doktor eine Blumenwiese,
Schiebt sich schon mal der Mehrlingsfall dazwischen.

KLUGE: Ha, Mehrlingsfall! Ich sollte mich wohl freuen,
Daß nicht der Kinder dreie oder viere?
Bloß hundert Prozent Fehler! Solche Treuen
Nennt man in meiner Heimat Trampeltiere.

SPÄTH: Frau Kluge, die Erregung laß ich gelten,
Doch nutzt es nichts, wenn Sie den Arzt verfluchen,
Probleme löst man nicht mit üblen Schelten.
Sie können freilich auch wen anders suchen.

KLUGE: Was soll ich tun? Ich wein seit Tagen täglich,
Ich habe keinen, der mir Rat und Stütze,
Mir scheint die Zukunft wüst und unerträglich,
Und Sie veralbern mich mit Mehrlings-Grütze.

SPÄTH: Was sagt Ihr Mann zu dieser neuen Lage?
Ihm war doch, schien mir, Nachwuchs äußerst wichtig.
Auch ists nicht Ausflucht, wenn ich Ihnen sage,
Beim zweiten Kinde zahlt der Staat erst richtig.

KLUGE: Wir sind getrennt, die Scheidung ist beschlossen,
Von mir erfährt er nichts von meinem Bauche,
Ich hab genug von Banken und Genossen,
Weil ich mal einen echten Menschen brauche.

SPÄTH: Nun gut, Frau Kluge, wollen Sie den zweiten,
Es sind zwei Jungs, in keinem Fall gebären?
So brauchen wir in keinem Falle streiten,
Denn was zu viel ist, läßt sich schließlich klären.

KLUGE: Heißt dies, Sie wolln die Sache korrigieren,
Daß ich mich der Verdoppelung entwinde?
Ists möglich, einen Zwilling zu verlieren,
Daß ich so komm zu einem Einzelkinde?

SPÄTH: Gar möglich ists, wiewohl nicht oft geschehen,
Es ist riskanter schon als die Routine,
Doch Ärzte, die genug vom Fach verstehen,
Verziehn bei solchen Wünschen keine Miene.
Wir müssen freilich noch ein Weilchen warten,
Bis sich die beiden seitenweise trennen,
Wer weicher ist und wer vom markig harten
Gepräge, läßt der Ultraschall erkennen.
Dann töten wir den schwachen mit der Nadel,
Die Wand gibt frei das dorrende Gewebe,
Das andre Kind trifft nicht geringster Tadel,
Wahrscheinlich, daß es gar gesünder lebe.

KLUGE: So soll es sein, dies scheint profunde Sache,
Ich ließe sonst sie alle beide fahren,
Bevor ich einen zweiten Anlauf mache,
Versuchen wir, ein Söhnlein zu bewahren.