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Aus »Musendämmerung. Tragödie«. Vers 54685 bis 54740 ZWEITER AUFZUG. ERSTE SZENE Platz vor dem Museion. Im Vordergrund zwei Schüler am Disputieren, ein Mädchen mit einem frisch gepflückten Blumenstrauß tritt hinzu. Aison, Skotos, Sylvia. AISON: Der Logos wird verfälscht, wenn wir ihn fassen, Als personal im Vater und im Sohne, Der höchste Geist mag nicht in Bilder passen, Daß vorgestellt er uns im Herzen wohne. SKOTOS: Das Heilige verwechsle nicht mit Zäunen, Die unseren Sinnen wohl, sich ihm zu weihen, Und findst du Stroh in ungezählten Scheunen, So sagt dies nicht, daß keine Körner seien. Daß Gott sei anzuschauen, scheint dir putzig, Doch die Erlösung fordert die Verleibung, Nichts tut dem Bild, daß tausend Bilder schmutzig, Weil es gefeit vor jeglicher Vertreibung. AISON: Gesichter brauchen Erbe und Beschränkung, Darum steht keines außer der Geschichte, So ist es für den Logos eine Kränkung, Versiehst du ihn mit einem Angesichte. SKOTOS: Es ist das Wunder, daß dem Menschenwesen Nicht nur geschaffen ward Gestalt und Helle, Der Schöpfer hat sich das Geschöpf erlesen, Daß sie sich ihm gefährtenhaft geselle. SYLVIA: Ihr Disputanten unterm Sonnenscheine Seht nicht die Blumen farbig karikieren Gelahrtheit, die sogar im Musenhaine Nicht beßres weiß, als Augen zu verlieren. AISON: Sie gibt mir recht, ich sag seit einer Stunde, Daß alle Farbe, die da keimt und flügelt, Den Geist vertraut uns aus berufnem Munde. Du meinst, er sei in Golgatha gehügelt. SKOTOS: Nein keineswegs, du insistierst vergebens, Das Unsichtbare sei allein das Reine, Ich aber bin der Anwalt allen Lebens, Wo Christus mit uns lacht im Sonnenscheine. SYLVIA: Ich glaub, ich seh das eine wie das andre Als überspannt und greisenhaft gedrechselt. Ihr tut der Welt, als ob ein Blinder wandre, Drum werde wer da will mit euch verwechselt. (Ab.) AISON (spöttisch): Du gäbest ihr mit blauen Hyazinthen Mehr Himmel als mit deinem Galiläer. Der Geist im Stoffe ist das Reich der Finten, Und nur der Trug führt dich dem Heile näher. SKOTOS: Die Mädchen wie die Gänse zu verschrecken, Taugt Logos wie ein Maul mit schwarzen Zähnen, Du freilich liebsts, die Buben rings zu necken, Und träumst von einem Hühnerhof von Hähnen. AISON: Nur weil ich nicht bei jeder Gürtelschnalle Ans Lösen denke und in Räusche kippe, Ist mir nicht, wie du meinst, das Weib die Qualle, Und meine schönste Aussicht die Xanthippe. Hypathia, die uns nach der Mittagspause Von Kegelstümpfen oder von Hyperbeln Erzählen wird, ist meine Minne-Flause, Für so ein Weib würd ich mein Heil verscherbeln. Denn wenn die Frau, was selten ist, das Klare Mit Anmut mengt und hohem Mut der Stimme, Stelln sich mir unterm Chiton alle Haare, Dann flötet meiner Mutter Sohn, der grimme. |