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Aus »Musendämmerung. Tragödie«.   Vers 55673 bis 55792

DRITTER AUFZUG. SECHSTE SZENE


Die Bühne füllt sich mit Bewaffneten. Jeweils zwei halten Orest und Scholastikos fest.


Orest, Scholastikos, Petros, Bewaffnete.

PETROS: Den Schreiberling braucht ihr nicht anzubinden,
Die Neugier hält ihn sicher im Geschehen,
Gar grausam wärs, man hindert ihn zu finden
Die Feder und noch grausamer am Sehen!
Er wird, uns alle lobend, niederschreiben,
Wie wir gewehrt dem heidnischen Tyrannen,
Wie wir im Lande Christi Reich verleiben,
Die Lästerer und Helfershelfer bannen.
Ihr glaubt mir nicht? Ihr meint er könnte dichten,
Wir wären grad des Christentums Verbieger?
Glaubt mir, ich kenn mich aus mit den Geschichten,
Denn die Geschichte schreibt allein der Sieger.

ERSTER BEWAFFNETER:
Wer hat ihn solche Sprüch gelehrt? Die Psalmen
Warns sicher nicht, und auch nicht Christi Leiden,
Wo in der ganzen Stadt Ruinen qualmen,
Muß man ihn um Gelehrsamkeit beneiden.
(Man läßt Scholastikos frei.)

PETROS: Der Herr zeigt seine Weisheit der Gemeinde,
Und zeigt euch heut, wie Leugner zu behandeln,
Denn alle, die des Menschensohnes Feinde,
Sind gar nicht wert, auf dieser Erd zu wandeln.
Dies durchzusetzen ruft der Herr die Christen,
Sie lassen ihren Acker, ihr Gewerbe,
Und schicken Satan alle Satanisten,
Daß ihm nichts fehl an seinem ganzen Erbe.
Orest, du dauerst mich in deiner Sünde,
Jüngst wies ich dir den Weg zu Reu und Buße,
Du aber dachtest nur an deine Pfründe,
Und fandst zu Zauberei und Morden Muße.
Hypathia, deine Hure, vor dem Zorne
Des Volks zu schützen, ist mir nicht gelungen,
Doch dir gebührt ein stolzer Schritt nach vorne,
Des Bischofs Milde sei um dich geschlungen.
Du wolltest ihn mit Boten freundlich stimmen,
Nun darfst du selbst vor seine Augen treten,
Der Weihrauch wird zu deiner Gnade glimmen,
Und alle Brüder werden für dich beten.
(Ein Bote reicht Petros eine versiegelte Rolle.)
Wir haben an den Bischof schon geschrieben
Und fragten ihn, wie wir dich kleiden sollen,
Von Kaisers Würde ist ja nichts geblieben,
Was nicht zerzaust du hast bei deinem Tollen.
Nun schau ich mit Verehrung in die Rolle,
Was mir der Hirte anbefiehlt zu sorgen,
Er schreibt hier gleich im Eingangssatz, er wolle
Daß wir die Fahrt beginnen, und zwar morgen.
Dich sprechend anzuhören, ist ihm greulich,
Weil seine Ohren lieber Fromme hören,
Drum wär es ihm als erstes Ding erfreulich,
Würd eine Zunge diesen Kopf nicht stören.
Du weißt, wir lassen uns nicht zweimal bitten,
Doch soll dein Stammeln ungesagt nicht bleiben,
Drum laß ich, eh die Zung dir wird geschnitten,
Historicus die letzten Worte schreiben.
So spreche frei, wir werdens mit Gewissen
Dem Bischof reichen, wenn du stumm geworden,
Wenngleich das deine frei von solchen Bissen,
Denn Bogenschützen dürfen fernhin morden.

OREST: Mein Wort war, daß die Tore ich gehoben,
Wohl wissend, daß ich keine Gnade finde,
Doch es geschah allein, den Herrn zu loben,
Denn er nahm mir die letzten Augenbinde.

ZWEITER BEWAFFNETER:
Was spricht er da? So spricht kein Heidenpriester.
Man muß die Sache gründlich untersuchen.
Man sagte uns, hier herrschten wilde Biester,
Die böse Täuschung muß der Herr verfluchen.

DRITTER (im allgemeinen Gemurmel):
Der Text ist falsch. Der Bischof hat geschrieben
Gewiß nicht, daß vorm Anhörn werd verstümmelt
Der Diener Roms. Die Wahrheit heißt er lieben,
Er ist kein Mann, der auf dem Ohre lümmelt.

PETROS: Ich reich das Siegel hiermit dem Chronisten,
Er weiß zu prüfen, was gefälscht und echtens,
Und wer mich zeiht des Falschs und arger Listen
Erkenn beschämt, daß alles gut und rechtens.

SCHOLASTIKOS: Am Siegel ist kein grober Trug zu sehen,
Doch Fälscher gibts in dieser Stadt die besten,
Und auch wer weiß, wie sie zu Werke gehen,
Der kann mit bloßem Aug das Wachs nicht testen.
Ich aber kenn Kyrill nicht nur aus Rollen,
Die zweifelhaft ob echt ob nachgezogen,
Und weiß genau, er würde niemals wollen,
Daß wer um die Verteidigung betrogen.

VIERTER BEWAFFNETER:
Gib mir die Rolle, ich war manche Jahre
In einer Werkstatt gut für Imitate,
Drum ist kein Trick, den ich nicht leicht erfahre,
Denn ich war oftmals solcher Künste Pate.
(Allgemeiner Tumult. Die Rolle wird umhergereicht.)

ERSTER: Wir führen alle vor den klugen Richter,
Orest und Petros und die Siegelrolle,
Dann wird uns alles zweifelsfrei und lichter,
Dann sehen wir die Wahrheit selbst, die volle.
Man reiche mir die Siegelrolle rüber.

ZWEITER: Sie ist verschwunden wie die Morgenröte.

DRITTER: Da läuft das Faß der Unverschämtheit über.

VIERTER: Erbärmlicher sich nie ein Schauspiel böte.

ERSTER: Nehmt Petros fest, er zeige dem Gerichte,
Ob er uns mit der Lesekunst betrogen!

SCHOLASTIKOS (vortretend):
Im Unbehagen endet die Geschichte,
Und manchem scheint es niemals fortgeflogen.
Mir bleibt hier noch ein letzter Rest zu sprechen,
Und daß das Publikum sich drob nicht gräme,
Will ich der Zukunft Siegel schnöde brechen
Und künden, ob hier recht behält die Häme.
Der Bischof wird sich nicht mehr dran erinnern,
Was in der Rolle, die er sandt, gestanden,
Er trennt uns die Verlierer von Gewinnern,
Und denen kam die Forschungslust abhanden.
Orest wird überstellt den Kaiserlichen
Und dort wird ihm Verbannung zugesprochen,
Er ist im hohen Alter erst verblichen,
Ist nie verstummt, gehumpelt und gekrochen.
Der Petros fand den Bischof zum Vergleiche
Geneigt und ist nach Albion fortgesegelt,
Nie hörte ich von ihm und seiner Leiche,
Noch was er später anderswo geflegelt,
Von seinem Schlag wirds immer welche geben,
Solang die Welt besteht im Sterngefunkel,
Doch wenn Oreste auch dazwischenleben,
Wirds auch in fernen Zeiten niemals dunkel.
Die Fabel des Geschehns bleibt nicht verborgen
Dem Schauenden, der dies mit Witz betrachtet,
Nicht alles kann der Hofchronist besorgen,
Drum sei auch, was er euch vergaß, beachtet.