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Aus »Orpheus. Tragödie«.   Vers 53487 bis 53618

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Orpheus, Eurydike, Hermes mit Fackel.

ORPHEUS: Der Strom, den keiner zwiefach überschwommen,
Den Hermes ausgenommen, der mich peinigt,
Ist mir schon lange vom Gehör genommen,
Die Stille scheint mit bösem Traum vereinigt.
(Pause)
Der Fährmann sprach kein Wort und auch die Blenden
Sind wie erloschen in der aschnen Fahle.
Mag denn der Weg nach oben niemals enden!
Wie leert man eine randgefüllte Schale?
So düster ists, mich fröstelt, das Umarmen
Ersehn ich so und muß doch laufen, laufen.
Ob ich einst ankomm, heiter, froh im Warmen?
Vielleicht will man mich auch für dumm verkaufen?
Wenn ich doch schauen dürft die holde Leichte!
Wies Eichhorn klettert auf dem Kiefernaste,
Ich meinen Hain, der frühlingsfroh, erreichte!
Doch Blei im Blut heißt immerfort mir: Raste!
Ganz ohne Mut kann niemands Werk gelingen,
Und sei es nur der Lauf von einer Meile.
Ich darf ihr nicht von meiner Freude singen,
Dies diente ganz gewißlich nicht dem Heile.
Wärn wenigstens vernehmbar ihre Tritte,
Ich bin geschaffen nicht für tote Ohren.
Ich bin allein, dies sagen meine Schritte,
Unglücklich und wohl besser nie geboren!
(schweigt und lauscht):
Wenn ich mir just Gewißheit hier verschaffte,
Würds in der Fahle Argos nicht bemerken,
Die Lähmung ich nicht länger noch verkrafte,
Ein Fünkchen Lug tut wohl den guten Werken.
Dort an der Windung muß ich halb mich drehen,
Ein bißchen mehr, das tut sich von alleine,
Ich werde nur die Haare flattern sehen,
Dann wird mir wohl hinauf zum Sonnenscheine.
Es ist verboten, spricht in mir der Meister,
Doch weiß die Not, ich breche bald zusammen.
Der wunde Knöchel wird mir immer feister!
Mir droht die Haut zu reißen an den Schrammen!
Kann Not sich steigern, wo doch unerträglich
Sie gab der Tag im Falle und Verflattern?
Doch wem das Leid unsingbar und unsäglich,
Der folge nicht dem Rächerbiß der Nattern!
Ob das Gebot mich hindern soll zu wissen,
Daß seine Gnad nur eine leere Geste?
Daß jene, die die Schlange hat gebissen
Ein Schatten bleibt, indes der Leib verweste?
Halt ich mich ans Gebot, weil ich vermute,
Ein leerer Raum würd mich zu Tode stürzen?
Wärs dann nicht klug, wenn es mich jetzt geruhte,
Mein Leiden bis zum Ende abzukürzen?
Ich schwanke hin und her nicht nur im Geiste.
Vielleicht ein bißchen weiter an der Ecke?
Ein Glück ists stets, wenn offenbar das meiste!
Dann flieg ich oder bleibe auf der Strecke.
Der Mensch denkt immer an die Konsequenzen,
Doch macht dies wenig leichter zu entscheiden,
Er weiß die Seite nicht, da seine Grenzen,
Drum wählt er oft das ungewisse Leiden.
Ob es geringer, wenn er alles wüßte?
Die Götter sah ich nicht als leichte Herzen,
Den Sterblichen zersprengte es die Brüste,
Wär tiefre Einsicht in den losen Scherzen.
Nur Hermes, der durch jedes Reich sich windet,
Scheint mir so kalt, daß ich ihn hab zum Feinde,
Doch wer die Seelen bloß im Auftrag schindet,
Wird mild beurteilt in der Leid-Gemeinde.
Daß ihn der König auf den Hals mir hetzte,
War recht infam, doch war die Widerrede
Mir nicht gestattet, und das so Gesetzte
Beendet mir das Licht mit aller Fehde.
Ach käm es doch, wär da ein Spalt im Schiefer!
Zu blinzeln ist das schönste aller Spiele,
Es scheint mir fast, als käm ich immer tiefer,
Und eingebildet wären alle Ziele.
(Pause.)
Ich bin erschöpft, ich muß mich irgend stärken.
Wie Tantalos ein Gran entfernt vom Heile,
Kann mich gewiß selbst Hermes nicht bemerken,
Wenn ich erhasch von Bild nur eine Zeile.
Daß ich ihn trüg, muß keineswegs beschämen,
Er trog mich oft und ist der Gott der Diebe,
Darf uns ein Blick, ein winzig kleiner, grämen,
Der uns verheißt die Göttlichkeit der Liebe?
Darf man die Liebe zum Gedulden zwingen?
Und war nicht mein Gedulden einst im Kriege
Allein der Weg, das Unheil herzubringen,
Die Zeit, daß Aristaios mich besiege?
Ich will mich kehrn mit einem raschen Rucke,
Wenn ich dem Tropfstein auszuweichen habe,
Und wenn ich Mut und Lebenskräfte schlucke,
So flieg ich wie ein Adler aus dem Grabe.
(Pause.)
Noch zweifel ich, noch bin ich unentschieden.
Als ob genug an Rat mich nicht zerriebe!
Ins offne Feuer stürzen die Sphingiden,
Was ihnen Licht, dem Sänger ists die Liebe.
Und ich bemerk, ich wandere im Kreise ...
Ja sicher, diese umgestürzte Urne!
Und hier! ich sah schon einmal diese Schneise
Und diesen Grat, auf dem ich schwindelnd turne.
Ja zweifelsfrei, ich bin im Labyrinthe
Dem eignen Weiser auf den Leim gegangen.
Nun sage mir: Setzt wieder wer die Finte?
Es könnte sein, ich habe mich verfangen.
Der Eibenreiser brennt, als sei am Ziele
Ich fast und doch sind nirgends Tau und Winde.
Die Hydra wohl umkreis ich, doch dem Kiele
Fehlt Kraft zu bannen eine letzte Binde.
In diese Tiefe kam ich selbst von draußen,
Unmagisch, nur vertrauend dem Verstande,
Säß mir im Nacken nicht das kalte Grausen,
Ich wär schon längst in meinem Heimatlande.
O Götter, gebt ein bißchen Mut dem Gatten,
Ein Härchen bloß, ein Fädchen von dem Kleide!
Würf diese Trübnis einen Mondesschatten,
Er reichte, mich zu lösen von dem Leide.
Ich muß sie sehn, und das Gebot erloschen
Muß sein, wo ich den Hain schon dunkel rieche,
Man hat die Seele lang genug gedroschen,
Nun festigt mir das Kreuz, daß ich nicht krieche.
(Er sieht sich um.)

HERMES (faßt Eurydike hart an):
Ich wußt es gleich, jedoch die Weiberknechte
Wahrhaben nicht, daß Dumme bloß zu Dümmern.
Die Leier! Des Erfinders eigne Rechte
Den Dilettanten meistens wenig kümmern.
Doch fahre hin! Du wirst dich selber richten!
Nun labre nicht aufs neue von Verschwörern!
Ich mach es kurz, ich habe größre Pflichten.
Du bist jetzt wieder ganz bei deinen Hörern.
(Lacht und geht mit Eurydike ab.)

ORPHEUS (stürzt Hermes nach, eine Wand fällt krachend dazwischen, an die er ohnmächtig schlägt):
Verfluchter Hund, du Dieb und Überlister,
Du Fallensteller auf geweihten Wegen,
Im Götterstaat fürs Ärgste der Minister,
Sind Stymphaliden Störche mir dagegen.
Noch einer wird nach mir zum Hades kommen,
Dann ists an dir zu betteln und zu zittern,
Wenn Groll erfaßt die Dulder und die Frommen,
Darbst du allein im Donnern und Gewittern.
(Die Kräfte verlassen ihn und er schluchzt immer leiser. Die Grotte öffnet sich langsam und ein Sonnenstrahl fällt auf ein frisch gehäuftes Grab mit vielen Blumen.)