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Aus »Medea. Tragödie«.   Vers 50927 bis 51026

ERSTER AUFZUG. VIERTE SZENE


Medea, Peritta, Absyrtus, Gora.

ABSYRTUS: O liebe Schwester endlich, endlich wieder!
Ich hab dich so vermißt in diesen Jahren,
Mir fehlte dein beschirmendes Gefieder
Seit du so jählings aus dem Haus gefahren.

MEDEA: Du bist gewachsen, mächtig, und ich ahne
Die ersten Stoppeln bald an deinem Kinne!
Dem König, glaub ich, gehst du nach dem Plane,
Wie ich daneben schon im Anbeginne.

ABSYRTUS: Der Vater wird mit jedem Jahre milder,
Es wäre schön, gingst du ihm mal entgegen,
Er weint zur Nacht, ich sah die Kinderbilder
Sein schüttres Haupt mit tiefem Schmerz bewegen.

MEDEA: Dies ist nicht neu, ihm war die Tränendrüse
Schon immer Sekundantin seines Schwertes,
Doch ich hab weder Weisheit noch Gemüse,
Sein Herz zu heiln, sein also tief versehrtes.

ABSYRTUS: Du hast dich nicht verändert, meine Große!
Du gehst so sicher und so unbestechlich,
Schaust durch die Rüstung auf die Haut, die bloße,
Und zeigst uns, daß wir schwach sind und zerbrechlich.

MEDEA: Nun gut, genug von diesen Komplimenten!
Ich denk, du weißt, warum ich nach dir schickte.
Wann jagt der König übern Teich die Enten
Und sorgt, daß sie kein zweiter Tag erblickte?

ABSYRTUS: Du sprichst von der Elite einer Kaste,
Die Kriegskunst mit der Muttermilch gesogen,
Nicht töricht unterschätzt sei der Verhaßte,
Der wie ein Gott zu spannen weiß den Bogen.

MEDEA: So ists schon vor der ersten Schlacht Parole,
Daß keiner standhalt und sich widersetze?
Meint nicht des Heeres Treueeid, der hohle,
Daß solche Feigheit jeden Gott entsetze?

ABSYRTUS: Die deutlich Unterlegnen zu verheizen,
Schüf Schande selbst dem blindgebornen Gecken.
Höchst albern ists, sich eigenhold zu spreizen,
Wo das Orakel schweigt in Scham und Schrecken.
Allein die Götter können alles wenden,
Sie bindet nicht Verhältnis, Zahl und Stärke,
Soll nicht im Tode die Belagrung enden,
So ruf den Mond und seine Wunderwerke.

MEDEA: Mein Kleiner, meine Zauberkünste treffen
Nur den, der mir verfallen ist im Herzen,
Den Fremden, die das große Segel reffen,
Wärs grad, als suchten Kinderchen zu scherzen.
Da du mir hold, hab ich dich fliegen lassen,
Du spanntest als mein Minner deine Schwingen,
Jedoch bei jenen unverwandten Rassen
Kann mir nicht der geringste Bann gelingen.
Auch Tyris, der als Drache wacht am Vliese,
Wars nur der Eifer, um mein Ja zu werben,
Was ihn gebracht in meine Macht-Verliese,
Daß er als Untier töten muß und sterben.
Und dieser Bann ist nicht nur seine Schlinge,
Ich selber bin in gleicher Weis gebunden,
Denn daß ihm die Erlösung einst gelinge,
Ist ihm verbürgt bei meinen Todeswunden.
Der stolzeste aus der Besatzerrotte
Stand eben grad an deiner Statt im Saale,
Doch keineswegs wies Kerzenlicht die Motte,
Begehrt er Trunk aus meiner Lippenschale.
Kann ich den Mann nicht locken und verführen,
Kann ich ihn nicht besiegen und besetzen,
Drum mußt du mich als Waffenlose spüren,
Unfähig, diese Scharen zu verletzen.

ABSYRTUS (nach einer Weile):
Mir wurde diese Möglichkeit beschrieben.
Allein ich hielt es noch für unbewiesen.
Die Götter, ach, wo sind sie uns geblieben,
Wir sind allein und stehen vor den Riesen.
(Er setzt sich auf einen Sims. Pause.)
So bleibt nur eins. Der fluchgebannte Drache
Muß unbedingt dir nicht das Leben rauben.
Nicht nur dein Tod enthebt ihn von der Wache,
Es reicht ihm, dich im Totenreich zu glauben.
Ist er ganz überzeugt, du seist gestorben,
Und nichts auf Erden könne dich erzwingen,
Dann ist in ihm der Minnebann verdorben,
Dann fallen Kralle, Panzerkamm und Schwingen.
Ich hab dem Vater schon davon gesprochen,
Die Fremden werden unser Land verheeren,
Und wird der Bann nicht irgendwie gebrochen,
So werden jede Hütte sie entehren.
Es gibt nur eins, was sie nach Hause schickte,
Es ist das Vlies, uns bitterböse Bürde,
Und als ich diese Möglichkeit erblickte,
Erkannte ich, daß es so kommen würde.
Ich werde mich an deiner Stelle richten,
Im Alter, drin die Schwester einst gewesen,
Der Drache wird die Leichenteile sichten
Und läßt den Ort dann ohne Federlesen.
Er weiß nicht mal, daß dir geschah ein Bruder,
Ich lebte dazumal noch bei der Amme,
Das Blut und der Geruch betäubt das Luder,
So werd ich meinem Volk zum Opferlamme.

MEDEA: Ich habe diesen Tag wohl kommen sehen,
Das Vlies ward uns gebracht, uns zu vernichten,
Doch wer versteht schon, was die Winde wehen,
Was wahr ist an den wüsten Traumgesichten?
Ich muß den Mond in dieser Nacht befragen,
Peritta führt dich fort in eine Kammer,
Des Rätsels Lösung wird sich bald uns sagen,
Laßt mich allein mit meinem großen Jammer.
(Absyrtus und Peritta ab.)