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Aus »Unstrutleuchten. Zweites Buch«. Gedichte 2020   Vers 46662 bis 46765

AM GLOCKENSECK


Wo sanfter Hang dem Winzer gut,
Und auch die Unstrut friedlich breit
Nicht mehr die kühnen Sprünge tut,
Als sei sie jung und ungefreit,
Sieh im Gezähmten, das sich grünt,
Schroff-steilen Felsens wilden Fleck,
Wie ein Verbrechen ungesühnt
Ragt ins Gefild das Glockenseck.

Was wider alle Regel spricht,
Beschäftigt Volk am Feiertag,
Verwunderlich ist also nicht,
Was erst Gerücht und endlich Sag:
Der Felsen, der sich grob bewahrt
Und nicht zerrollte, innerst deck
Den Rächer unbekannter Art,
Der Frevler lockt zum Felseneck.

Ein Bauersmann, der Glocken hieß,
In Gleina war für Geiz bekannt,
Wenn einer bat um das und dies,
Geriet er außer Rand und Band.
Da er auf Bettler Hunde hetzt,
Geschiehts, daß einer so verreck,
Der bittet nicht ums Heil zuletzt,
Er spricht den Fluch vom Felseneck.

Doch Glocken lacht, auf diesem Sporn
Ist Feld nicht sein noch Weideland,
Daß er geriete ganz nach vorn
Und schließlich stürzte übern Rand,
Solch irre Mär, nicht wert der Red,
Beweist wie nutzlos dieser Geck.
Wenn dieser Ort ihm nahesteht,
Was schnorrt er nicht am Felseneck?

Die Unstrut fließt, die Tage gehn,
Der Glocken haus im Felde hält,
Doch einmal hat er sich versehn,
Die Nacht das Fuhrwerk überfällt.
Da braucht der Mut Gedanken fein,
Die junge Magd und ihr Gebäck,
Doch immer wieder fällt ihm ein
Der blöde Fluch vom Felseneck.

Ganz ohne Mond ists leicht nicht mehr,
Den Weg zu halten und die Spur:
Wo komm ich hin, wo komm ich her?
Die Dunkelheit wird zur Tortur.
Es regnet mählich, endlich dicht.
Nun wird auch noch der Himmel leck!
Gäbs doch ein kleines bißchen Licht!
Wer sähe hier das Felseneck?

Zwar schützt die Plane gut und fest,
Und auf die Pferde ist Verlaß,
Die Nacht sich überstehen läßt,
Und sei sie noch so kalt und naß.
Das Wetter aber spitzt sich zu,
Gewitter kreist und spielt Versteck,
Doch Glocken weiß, hier hilft nur Ruh
Und kein Gered vom Felseneck.

Da scheint das Dorf ganz plötzlich nah,
Der Hof, der Brunnen, dort die Scheun,
Doch dann ist auch der Zweifel da:
Sollt ihn die Zuversicht gereun?
Ists Narretei? Ein Dämon bös,
Der meint, die Mäuse fängt der Speck?
Und der bloß wartet, daß Gekrös
Verrottet unterm Felseneck?

Er wendet, und die Pferde gehn
Noch immer brav und ohne Arg.
Wer wagt, den Teufel anzusehn,
Der bleibt vor jedem Teufel stark.
Verläßlich ist der Branntewein
Im Rock – nun scher dich keinen Dreck
Um Aberglaub und Weiberschrein,
Um Bettler und das Felseneck.

Doch dann, die Gäule wie verhext,
Sie wiehern heiser in die Höh.
Was ist da oben, wo nichts wächst?
Den Schrei verschlingt die straffe Bö.
Dann wird es still und jemand lacht.
Von hinten wiederholt sichs keck.
Schon manchen hat verrückt gemacht
Der irre Spuk am Felseneck.

Er hält den Wagen – besser so
Erwarten bald das Morgenrot,
Als nirgendhin und irgendwo
Vor einer Klippe Brei und tot!
Man harre lieber tatenlos,
Wenn alle Mühe ohne Zweck!
Das wichtigste: Vergiß jetzt bloß
Das dumme Zeug vom Felseneck.

Doch dann ein Blitz, mit einem Ruck
Die Pferde traben los wie toll,
Vom Branntewein noch einen Schluck!
Wer wüßte, was er sonst noch soll?
Ob im Galopp die Achse kracht?
Hier kommt man nur zerschlagen weg.
Wenn doch ein Sternlein hell die Nacht,
Und rettete vorm Felseneck!

Es ist erreicht, der Wagen stürzt
Im Bogen nach dem Unstrutfluß,
Daß der, dems Leben so verkürzt,
Die Lag nicht faßt, bis jählings Schluß.
Kein Atem noch für Fluch und Streit,
Kein Lidschlag noch für Ach und Schreck!
Der Fels heißt nun für alle Zeit,
Wer auch vorbeikommt, Glockenseck.