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Aus »Unstrutleuchten. Erstes Buch«. Gedichte 2019 Vers 43097 bis 43180 REIM I Wie die Katz mit ihrer Maus Sich im langen Spiel versäumt, So probiert die Worte aus Jedes Kind, das spricht und träumt. Ohne Arg und ohne Ziel, Reiht es Laut an Laut, dem Klang Lauschend, und daß der gefiel, Schürt die Lust am Sprachgesang. Es verblüfft, wenn Reimerei Manchmal sich vernünftig sagt, Solcher Fund wie nebenbei Seltsam aus dem Spiele ragt. Dabei fällt dem Kinde ein, Daß auch Regeln oft so gehn, Daß der Klang im Wiederschein Läßt sie im Gedächtnis stehn. Aber auch verbotnes Wort, Dems genug, daß man es denkt, Schätzt den leergebliebnen Ort, Den der freche Reimer schenkt. Nirgends sind Verstoß und Norm So verschlungen wie im Reim, Jedes Alter führt die Form In der Kindheit Gärten heim. II Reim ist Kindern allgemein Wie die Lust am Honigtopf, Ob er holprig oder rein, Ob er sich erhält im Kopf, Muß er laut gesprochen sein Mit Gestampf und mit Geklopf. Reim ruft Rat, nicht umgekehrt, Rede, die zum Punkt noch frei, Pusteblume unbeschwert Folg der Wolkenlämmer Reih! Doch der Kindheit bleibt verwehrt, Daß ihr Spiel von Dauer sei. III Wenn die Knabenstimme bricht, Achseln sich und Scham behaarn, Leiden Sinn und Angesicht Neue Wünsche und Gefahrn. Hohes Wort und Ideal, Flunkern oder Protzerei, Wer nicht hat die Qual der Wahl, Ruft auch gern den Reim herbei. Freilich ist viel schärfer nun, Er getrennt in bittres Blut Oder Wort in Flügelschuhn, Das auf Traurigkeiten ruht. Mädchen, die im Album still, Mühen meist die Konvention, Doch der Kerl, der siegen will, Setzt auf seinen eignen Ton. Reimerei taugt kaum dem Hahn, Doch dem Maulwurf und dem Specht, Nicht erfunden ward der Wahn, Dem er Esel nicht und Knecht. Doch wer seinen Dienst verschmäht, Wenn er rast wie später nie, Fragt im Alter sich zu spät, Wo der Kern der Harmonie. IV Daß zu sagen ist, was sei, Reife erst verfügt als Muß, Obs geschieht mit Reimerei, Sagt der Oberlauf dem Fluß. Wenn die Fracht zu laden steht, Zimmert nur an Kiel und Rumpf, Wer dem Wind, der mächtig weht, Wie ein Grabstein kalt und stumpf. Wer den Bart sich abrasiert, Wird nicht wieder Bub im Herz, Wer da Schild und Schwert verliert, Suche nicht im Berg das Erz. Jugend setzt den Kontrapunkt, Alter orchestriert und füllt, Minnelied, das kratzt und prunkt, Hat ein Meister nie zerknüllt. Wer den Rausch des Blutes pries, Höllen reimte des Verzichts, Schildert auch das Paradies Oder das Gesetz des Nichts, Denn noch vor dem Minnesang, Setzt ein Garten das Vertraun, Und der Jugend Formenklang Läßt zuletzt die Kindheit schaun. |