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Aus »Die alte Linde. Zweites Buch«. Gedichte 2013   Vers 41645 bis 41708

STREITLINDE


Mittendrin im Ackerland
Oft ein Baum den Himmel preist,
Daß die Saat von Menschenhand
Windstoß nicht der Furch entreißt,
Auch das Vieh, das einsam grast,
Einhegt manche Baumesreih,
Wo das Recht nicht angemaßt,
Ist ein Urwaldrest dabei.

Grenzer sind die Bäume lang
Weil sie unbeweglich stehn,
Nicht zu Flucht und Beutefang
Just zum Horizonte gehn,
So sich Herrlichkeit und Mark
Älter stelln als ein Geschlecht,
Gilt der Baum, der wurzelstark,
Erster Zeuge allem Recht.

Auch die Linde, die im Streit
Köttwitzsch gegen Königsfeld
Richter war, steht fabelbreit
Mitten in der Hügelwelt,
Wo genau die Grenze lauf,
Ob im Norden, ob im Süd,
Jeder stellte Bürgen auf,
Daß die eigne Linde blüht.

Weils kein Pergament bewies,
Doppeldeutig das Geschreib,
Man zum Gottesurteil blies,
Welcher hier im Irrtum treib,
Ritter legen Lanzen ein,
Gilts dem Himmel zu vertraun,
Um ein Bauersmann zu sein,
Mußt du ihn im Wachsen schaun.

Also sprach der Bauer laut,
Daß sich aller Zweifel leg,
Kläger, Zeugen, kommt und schaut,
Diesen Lindenbaum am Weg
Grab ich nun kopfüber ein,
Wenn er dennoch heiter blüht,
Soll durch Gott bewiesen sein,
Daß ich mich zurecht gemüht.

Ob dies eine fromme Mär
Bleibe hier dahingestellt,
Doch ein Augenloser wär,
Wer bestritte, daß im Feld
Wuchs ein Lindenbaum, so breit,
Daß die größte Hochzeitsschar
Hier vergaß zur Sommerszeit,
Obs gewittrig oder klar.

Lange blieben Menschenschlag
Und die Lust an Linden fest,
Doch dann fiel der Sonnentag,
Stoben Flammen durchs Geäst,
Frevlern, aller Bindung bar,
Ward die Lohe hehrstes Rot,
Und was ihnen wichtig war,
Schlug nicht nur die Bäume tot.

Endlich alles Mordsgesind
Richtet selbst sein böses Tun,
Wer da tobt wie Wirbelwind,
Wird im Wüstensande ruhn,
Doch die Linde, die dem Streit,
Gab Entscheidung ohne Blut,
Grünt, von Asche längst befreit,
Wo das Feld noch immer gut.