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Aus »Schnitterfest«. Gedichte 2011 Vers 39134 bis 39245 MUTTERSPRACHE Am Anfang stand der Atem, dann der Magen, Die Ahndung hascht im Augenblick das All, Der offenbare und der dunkle Fall Entspinnen sich durch Raten und durch Sagen. Daß worthaft sich erfahr der Seelenschall, Gehn Lust und Schmerz, Erhoffen und Ertragen, Denn ohne Fürwort gibt es keine Fragen, Und nur das Verbum macht die Sätze prall. Allein die Sprache macht die Welt uns eigen, Und dem Geschenk, das innerst führt und faßt, Verpfänden wir auch Träumerei und Schweigen. Manch einer nennts Provinz und Herkunfts-Last, Doch was die Mutter sang im Wiegenreigen, Den Schlüssel hegt, der auch im Himmel paßt. Der Ahorn flammt vor müden Stoppelfeldern, Das Lichtmeß-Glöckchen blüht im letzten Schnee, Die Seele kommt im Deutschen von der See, Und immer liegt der Ausweg in den Wäldern. Und wo ein Frohsinn haust und wo ein Weh, Das sagt sich nie von unbenamten Meldern, Dies ist kein Zins von Pfründen oder Geldern, Denn nur der Reim ruft in den Tann die Fee. Wer meint, daß solches eine Kunst ersetze, Die zu erlernen wohlfeil und bequem, Und alles sonst ein Knoten nur im Netze, Der suche sich schon einen Platz im Brehm. Doch daß im Schlachthof wer das Messer wetze, Macht auch das Fressen nicht nur angenehm. Dort, wo man singt, da laß dich freudig nieder, So sprach man, als noch sang die Schnitterin, In solchem Land ich großgeworden bin Und ich ersehn es immer, immer wieder. Die Muttersprache bleibt seit Anbeginn Ein Gotteslob, ein Duft von Heu und Flieder, Heut schaut man bei der Sängerin aufs Mieder Und disputiert, wie groß wohl der Gewinn. Wer nicht zu singen weiß von Luchs und Wiesel, Der schaut das Einhorn auch im Haine nie, Verpaßt das Evchen, wie schon lang das Liesel. Und auch am Meer mit Weltklang-Melodie Vermacht die Muschel ihm nur grauen Kiesel Und spricht, genarrt sei er, nicht etwa sie. Das Gegenteil von Heimat ist die Mode, Von Wurzel Wind, der Blätter fegt vors Tor, Wer fiel dem Trug, man komme ihm zuvor, Gleicht einem Wald nach wochenlanger Rode. Was einer lügt, wird wahrer nicht im Chor, Und weil der Redner etwa ein Rhapsode, Der Wechsel führt nur rascher uns zum Tode, Die Dauer liegt als Wiegenlied im Ohr. Drum freue dich, daß Deutschland dich geboren, Denn wenn du dies verneinst, bleibt nur der Groll Auf Völker, welche Heimat nicht verloren. Und wähn den Krug nicht bis zum Rande voll: Wer deutsch spricht, webt in einem deutschen Orden, Und niemand weiß, was Gott am Ende woll. Zu sprechen ist ein andres Wort für bluten, Die Macht des Worts dem Sprecher ist Verlust, Der Rosenstock, der sich verströmt im Blust, Hat lang gespart, sich solches zuzumuten. Drum zürne niemals, wenn du schweigen mußt, Denn wenn die Laute ungesprochen fluten, Erfahre, wie sie in sich selber ruhten, Als Trotz und Ränke dir noch unbewußt. Vom A wie Anfang bis zum U wie Ufer, Aarschwinge oder Falterflaum im Mund, Bist du an jedem Ort ein Wüstenrufer. Doch sei dir Mut, ein hochgemuter, kund: Ein Jahresring und oft ein Stundenstufer Bist du gewiß und auch aus gutem Grund. Wer Sprachen mischt, ist beider nicht verständig, Tauscht beider Antlitz ein für das Gesäß, Ihm fehlt der Sinn fürs heilige Gefäß, Drin Gott den Geist hält fruchtbar und lebendig. Nur Größenwahn den Sprachgeist neu vermäß, Der unterm Nebelhaupt auch nebelhändig, Und windig ist, was ihm erscheint als wendig Und so, als ob der Hahn vom Miste krähs. Man geht zum Schläferstündchen nicht mit Äxten, Man wär entsetzt, wenn solches einer tät, Doch scheints erlaubt, ein Kauderwelsch zu texten, Daß nur ein Narr den trüben Sinn errät, Fünf Sinnen fremd, und sicher auch dem sechsten Ein Vakuum, das sich zu Babel bläht. Wir haben unsern Schiller doch und Goethe Und wissen, wie man Kreuzworträtsel lös, Wer weiter fragt, der ist entsetzlich bös Und will vom Film zu Hausklavier und Flöte. Warn einst, wie man den Dichterkram verdös Und käm zum Fußballplatz, die Schülernöte, Sinds heut des Lehrers, wie er etwas böte, Das nicht zu heftig kitzelt das Gekrös. Und sagt er, daß sich etwas nicht gehöre, So gilt im Harz, im Spessart, in der Rhön, Daß ihm zum Schneemann fehle nur die Möhre. Und notfalls deutsch, er findets doch so schön, Sagt man ihm, daß ein Gestriger hier störe Und Abhilf böt ein heißes Bad mit Fön. Was auch das kleinste Volk mit Sorgfalt hütet, Das wirft ein großes ohne Not zum Müll? Durchsichtig freilich wie bestickter Tüll Die Seifenblase zeigt sich eingetütet. Wie er sein Stroh recht weltgewandt umhüll, Der Panscher über Hülsensilben brütet, Und wenn das Publikum dies nicht vergütet, Zeigt das Gesäusel sich als Kraftgebrüll. Und nennt ein Kind den Kaiser nackt und müde, So war zu hoch die Krippenplatz-Gebühr, Sonst wär das zeitgeschulte nicht so prüde. Die andern freilich heben Tor und Tür Und was man sonst auf ihre Schultern lüde Und meinen stets, sie könnten nichts dafür. |