|
Aus »Marone und Morchel«. Gedichte 2009 Vers 25834 bis 25917 FLIEGENPILZ Wer Birken mag, liebt auch den roten Ritter, Der ihr verschwistert bleibt in Wohl und Wehe, Doch wo der Gnom tatsächlich sei und stehe, Entrinnt dir meist wie ein Gedankensplitter. Folgst du ihm ganz vom Scheitel bis zur Zehe, Dem deliranten Rausch ist er Erbitter, Bezeugt sind nicht berserkerhafte Zwitter, Noch daß man selbst sich als Berauschten sehe. Dies hat zur Folge, daß wir nichts mehr wissen Vom Draußen drin, vom Drinnen nach Verlassen, Und müssen alle Differenz vermissen, Die uns den Rausch erst lieben läßt und hassen, Denn diese unsre Saiten sind zerrissen, Und rührst die falsche, muß sie gänzlich passen. Der Fliegenpilz trägt böse Schmäh im Wappen, Obgleich er steht für Glück wie Klee und Hufe, Man fragt sich, wie er kam zu solchem Rufe, Denn ungefährlich sind selbst größre Happen. Als spei er Zorn, wie einst er vom Vesuve Auf Pompeji fiel, die Seelen all zu schnappen, Als hoffe er, das Lebensgarn zu kappen, Stellt man mit Henkern ihn auf eine Stufe. So heißt es, daß er taug für Ungeziefer, Er sei im Wald der Morcheln und Maronen Ein Eiterherd wie in der Hand ein Schiefer. So seis, der Undank muß sich schließlich lohnen. Der Rote schmiegt sich an die Birke tiefer, Bis er vergißt, das ringsum Menschen wohnen. Im Velum weiß, verträumt und eingesponnen, Ahnt er noch nichts von Scham und Liebesröte, Und wenn man wem ihn so verschleiert böte, Er hielte dies für einen Jungfern-Bronnen. Wer sagt dem Kind, es schon die braune Kröte, Zählt gleichwohl keine zu den Schöpfungswonnen, Doch schätzt der Morpholog auch schwarze Sonnen Dem Pilze Fürsprach wagt nicht einmal Goethe. Dafür kam, als Kamtschatka brachte Kunde, Daß dort das Volk ihn schätz und die Schamanen, Ein laut Hallo aus rauschverseßner Runde. So schreibt man sich Ambrosia auf die Fahnen, Und Soma und macht rings Geheimschrift-Funde, Und phantasiert, als gälts das Heil zu ahnen. Auf Russisch heißt Muchumor dieser Albe, Dies ähnelt dem muscaria im Lateine, Das Muskarin, das nur in Spurn, schafft seine Gefragtheit nicht für Rauch und Hexensalbe. Die Säure Iboten führt an der Leine Den Esser, doch das Wohl ist nur das halbe, Drum sorge, daß das Karboxyl verfalbe, Daß Muszimol erwach im Sonnenscheine. Verdauung kann dies recht und schlecht bewirken, Drum trank das Volk Kamtschatkas vom Urine, Entwässerst du den Rittersmann der Birken, So treibt er ganz allein auf diese Schiene, Und öffnet deinen Blick den Traumbezirken, Wo dich zur Nacht empfängt die Melusine. In Japan und auch einst am Elbe-Hafen Hat man den Pilz als Speisepilz genossen, Es sind so viele Schwämme aufgeschossen, Daß Schlemmerei und Biedersinn sich trafen. Die Huthaut trennt man ab mit allem Krossen, Und löst was irgend brünstig macht den Braven, Dann gleicht der Pilzgeist gutem Mut von Schafen, Und taugt den Fischern wie den Handelsbossen. Doch willst du dich des Traumreichs nicht entsetzen, So trockne ihn anstatt ihn lang zu baden, Und laß ihn auch vom Lichte nicht verletzen. Denn mit der Feuchte wandeln sich die Schwaden Der Übelkeit zu großen Spinnennetzen, Drin Ariadne fänd nicht mehr den Faden. Erst kuglig, dann konvex, dann eine Scheibe, Der Hut ist wohl bekannt mit seinen Flocken, Der Stiel ist weiß bereift und Warzenbrocken Verraten, daß einst mancher Gurt am Leibe. Er sprengte sie wie unsern Mund so trocken, Der sich noch nicht getraut, nach einer Bleibe Zu fragen, die den stumpfen Sinn vertreibe, Und uns begabt, das Schicksal aufzubocken. Wenn Raum und Zeit vergehn in leichter Schwebe Uns Löwenkräfte eignen und bewegen, Dann übersteigt den Taumel-Rausch der Rebe Ein Sonnenkranz, nicht aus der Hand zu legen, Bis er uns selbst aus seiner Haftung gebe, Und wir erfahrn, daß draußen längst schon Regen. |