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Aus »Polyphem. Schäferspiel«.   Vers 49779 bis 50343

POLYPHEM


Vulkanlandschaft bei Catania. Polyphem steht blind und zerschunden an dem Flusse Acis. Er wähnt sich am Ufer des Meeres und ruft pathetisch Poseidon an.

Polyphem, Brontes, Galathea, Choros.



POLYPHEM: Ruhmreicher Vater, feuchter Born des Lebens,
Zu dürftig denkt der attische Kalender
Nur einen Mond des Schwemmens und des Strebens,
Denn meiner Knochen atmende Gewänder
Sind ganz von Gischt und Schaum aus deinem Samen,
Auch meine Mutter stammt aus deiner Tiefe,
Wir rufen dich nur mit verschiednen Namen,
Daß nicht der Vater mit der Tochter schliefe.
Doch dein ist alles, was da krebst und Flossen
Als Ruder nutzt, als Stempel auf dem Lande,
Was pulst und aufblickt, ist aus dir entsprossen,
Der du zu Inseln ballst die losen Sande.
Von Kronos kommst du, wo wir nur erahnen,
Wie er verfloß im Honig aus den Eichen,
Und so entstammt dem Goldreich der Titanen
Das Meer, dem wir ein Ende nie erreichen.
Dein herrlicher Palast kristallnen Stoffes
Steht unter allem Strömen, von Korallen
Beneidet, dem Enttauchen, ich erhoff es,
Ist manches Schiff zum Opfer schon gefallen.
Urherr von Delphi, Pylos Schirmer, Vater
Der Könige, Eleusis zu erbauen,
Der lahme Götterschmied im Ätna-Krater
Raucht fröhlich und erweist dir sein Vertrauen.
Doch freilich ist verschmerzbar sein Gebrechen
Und hindert nicht, daß Kunst mit Schönheit prunke,
Den Spott, das Schmähwort kann er selber rächen,
Und wenn sich jemand wohlgefällt im Stunke.
Ich aber muß den Dreizackschwinger rufen
Im Streitgefährt, geführt von Hippokampen,
Die Kräfte, die den Pegasos erschufen,
Und die Orion zeigt als Himmelslampen.
Ich muß in höchster Not, dem Licht entwendet,
Mich klagend nahn dem Schwängrer der Medusen,
Ein unerhörter Frevel hat geblendet
Den Sohn, der niemals wich von deinem Busen.

CHOROS: Die See ist tief und tiefer ist ihr Schweigen,
Sie kräuselt sich, sie stürmt und bebt zuzeiten,
Sie träumt im Dunst und lärmt im Möwen-Reigen,
Sie kargt mit Wundern nicht und Eigenheiten.
Delphine gleiten durch die weiten Zimmer,
Die wissen nichts von Riegeln und von Schwere,
Dies Reich ist fruchtbar und gebiert noch immer,
Wo draußen alle Sehnsucht treibt ins Leere.
Ob Schwamm, Koralle, Muschel, Tintensprüher,
Seeigel, Krebs, Seeschnecke, Walfisch, Qualle,
Sie zweifeln nie, daß später oder früher
Ein reinres Licht erweise sich als Falle.
Drum trau nicht seinem gleißenden Berauschen,
Es macht dich einsam und von fern gefährdet
Und hindert dich dem Mutterlied zu lauschen,
Wenn es sich als Tyrann und Maß gebärdet.
Allein die Nacht, die es begrenzt im Walten,
Darf dich im Traum mit Kindesglück begaben,
Drum kehre heim und finde dich im Alten,
Die Ruh der Flut wird Fremdes dir begraben.

POLYPHEM: Ihr Wogen schlagend an die Lavaklippen,
Nach Algen duftend und geborstnen Fischen,
Wie gern möcht ich am Quell des Lebens nippen,
Des Vaters froh, der anhebt aufzutischen.
Allein das Schicksal bannt mich auf den Hügel,
Bis Atropos den Faden mir zerschneidet,
Drum raff der Vater seiner Rosse Zügel
Und höre, was sein treuer Sohn erleidet.
Er pflag der Schäferei auf diesem Riffe,
Des Lebens froh und keines Froners Mündel,
Doch übers Meer, da kamen Segelschiffe
Und trugen Bosheit und Verrat im Bündel.
Vor langer Zeit verhieß mir das Orakel,
Ein Schänder such mein Augenlicht zu schwärzen,
Doch eh mein Leben führte ins Debakel,
Nahm ich mir dieses Wahrwort nicht zu Herzen.
Ich konnte solche Gräßlichkeit nicht glauben,
Da mir die Welt gerecht schien und gediegen,
Daß jemand käm, mein Lebensglück zu rauben,
Kann nicht im Sinn des Götterrates liegen.
Ich hab die Opfer wohl und rein bereitet,
Ich flocht Geschmeide und ich reimte Lieder,
Drum gib der Gott, den Triton meist begleitet
Mit Nereiden, mir das Leuchten wieder.
Ich will es nur zu seiner Preisung brauchen,
Sein Reich zu mehren an versteckten Quellen,
Doch meinem Feind soll böse Sturmbö fauchen,
An Klippen soll sein Frevlerschiff zerschellen.
Er blendete den Sohn zunächst mit Worten,
Mit Lügenlist den Namen er verbrämte,
Dies hat sich ihm bewährt an manchen Orten,
Weshalb er sich der Niedertracht nicht schämte.
Das Pferd, dir heilig, hat vor Ilion schändlich
Gedient, die Toresöffner zu vermummen,
Zeigt nicht der Gott, daß die Geduld ihm endlich,
Sind auf der Welt die Ehrlichen die Dummen.

CHOROS: Die See ist endlos fruchtbar und geduldig,
Sie liebt es nicht, den Finger zu erheben,
Sie kennt nur Kinder, eins ob rein, ob schuldig,
Was jemals sein wird, hat sie schon vergeben.
Sie dringt in jeden Hauch, in alle Ritzen,
Und sie durchflutet jegliches Beseelte,
Sie will nicht Klag noch Späheraug besitzen,
Weil nichts ihr den Zusammenhang verhehlte,
Ein Stiften, das im Licht sich unbeachtet
Wohl wähnt, weil es die Blicke schickt ins Weite,
Doch alles, was nach dem Geschehen trachtet,
Fließt durch die Herzen, die entflammt im Streite.
Wems Fließen hehr, den bannt nicht das Vefloßne,
Er wohnt an jeder Stelle im Geäder,
Er folgt der Dürre als das grün Entsproßne
Und spannt die Sehnen auch dem frischen Mähder.
Drum hat es wenig Sinn, den Gott zu stören
Im großen Tun, dem alles Episode,
Er braucht dein lautes Rufen nicht zu hören,
Denn was dir frommt, ist seinem Reich nur Mode.

POLYPHEM: So mag es sein im Leben wie im Sterben,
Doch enger stellt sich mir des Einblicks Rahmen,
Es schafft mir Luft im schändlichen Verderben,
Seis auch dem Gott bekannt mit Schluß und Amen.
Odysseus, dem die Mordlust gab die Nase,
Ein Fürst mir scheint im Reiche der Vernichter,
Für ihn gleicht alles sonst der Seifenblase,
Sein Nutzen ist der wahre Weltenrichter.
Er pönte, daß das Gastrecht wir nicht kennen,
Kyklopen, die er hoffte auszurotten,
Jeglich Geschöpf versucht er zu verbrennen,
Es sei denn, daß sie ihm im Takte trotten.
Ist nicht der Gast ein seltsamer Geselle,
Der Eichen fällt und dann kastriert zu Planken?
Nach seinem Sinn versklavt er Wind und Welle,
Und seinem Handel setzt der Tag nicht Schranken.
Aus Fernen, draus die Sagen dunkel raunen,
Tritt er dem Frommen unbegehrt zur Seite
Und fordert, daß man richte ihm ein Daunen,
Daß ausgeruht er zur Zerstörung schreite.
Daß etwas sei, nur einfach für sich selber,
Kann nicht erlauben, wer von solchem Blute,
Ob einer Riese, Zwerg, ob Mohr, ob Gelber,
Er weiß allein, was dem gewiß das Gute.
Er nennt es Freiheit, daß da jeder jeden
Gewähren laß im Tauschen und Betrügen,
Er weiß, ihm kommt kein andrer gleich im Reden,
Und darum gibts am End nur seine Lügen.
Der Stein, der Fisch, der Baum und eine Blume,
Sie haben Stimme nicht, um so zu schwatzen,
Und wer sich bückt als Landmann in die Krume,
In seinem Ohr die Weisheit hat der Spatzen.
Dem muß man, weil er hoffte abzuwenden
Die Sitten, die auf seine Knechtung zielen,
Mit Glut und Pfahl und allen Kräften blenden,
Wie Deiche wehrn den widerspenstgen Prielen.

CHOROS: Der Mensch hat sich dem Wandelsinn verschworen,
Er rast wie durch das Unterholz der Eber,
Es werden immer mehr davon geboren,
Auch wenns Prometheus büßt mit seiner Leber.
Unähnlich sind im Sinn sich die Kroniden,
Doch aufgeteilt sind gültig alle Reiche,
Dem Zeus sind Licht und Himmelsluft beschieden,
Poseidon pflegt das Flüssige und Weiche.
Bei Hades, der der strengste aller Herren,
Weilt Styx, bei dem die großen Götter schwören,
Auch wer da bricht den Brauch und alle Sperren,
Wird dort der großen Demut angehören.
Was auch die List des Rasenden erfindet,
Der Mistelzweig ist nimmermehr darunter,
Denn was ihn von Persephone entbindet,
Dafür ward nie ein Sterbenswerter munter.
Wenn Zeus sein Reich läßt solcherart verschandeln,
So wird das Meer darüber nicht verzagen,
Hier dient der Vielfalt alles Tun und Wandeln,
So wird es sein, sind Land und Wolk zerschlagen.

POLYPHEM: So ist es recht, doch schätzt das Einzelwesen
Der Brunnen nicht im Streite mit Athene?
War nicht der Quell, für Attika erlesen,
Das große Wunder in der Wettkampfszene?
Tritt denn nicht Öl, der Reichtum der Olive,
Das Macht verspricht, zurück vorm Lebensspender,
Und nennt sich eine Weisheit nicht die schiefe,
Wenn dran kaputtgehn Völker, Sprachen, Länder?
Im Hades wird Gerechtigkeit dem Ganzen
Und manchem, daß er nun nicht länger lache,
Doch wenn im Zeusreich die Verrückten tanzen,
So meint die See, dies sei nicht ihre Sache?
Wenn Zeus im Ehkrieg und im Lustgetändel
Sieht Schwerpunkt seines Kümmerns auf der Erde,
So meint die See, dies seien fremde Händel,
Weil unter Wasser die erlauchte Herde?
Als Laomedon hat dem Gott verweigert
Den Lohn, erschien ein Meeresungeheuer,
Ists nur Profit, der ihn zur Tatkraft steigert,
Bedeutungslos mein Aug, gelöscht im Feuer?
Soll ich mich mit dem Weisheitsspruche trösten,
Daß jeder Frevel fände einen Rächer,
Und Rätseln traun, den ewig ungelösten,
Daß sie mir deckten meiner Ställe Dächer?
Die Blindheit ist im Licht der größte Makel,
Ein Freibrief für den Frevler ohne Ende,
Heißts nun, es gab ja früher das Orakel
Und meine Schuld ist ganz und gar die Wende?
Was wird aus meinen Schafen auf der Weide,
Wer schreckt den Wolf und füttert in der Dürre,
Ich bitte keine Perlen, keine Seide,
Nicht Olibanum, Gold nicht oder Myrrhe.
Ich will nur wie die Alge, wie die Qualle,
Erlaubnis, meinem Wesen zu entsprechen.
Dies ist, daß ich auf meine Knie falle,
Denn ungeheuer ist des Gasts Verbrechen.

BRONTES: Was klagst du ohne Mäßigung, als müßte
Der Ätna seinen Mageninhalt speien?
Hier fauchts, als ob die Woge Lava küßte,
Was gibts am frühen Morgen so zu schreien?

POLYPHEM: Ach Brontes, hast du meiner nicht gespottet,
Als ich geklagt, daß Niemand mich geblendet?
Nun bin ich blind vom Berg herabgetrottet,
Daß unserm Clan der Elendsanblick endet.

BRONTES: Der Name Niemand war für diese Ränke
Recht gut gewählt, denn unsere neuen Herren,
Sie kommen wie ein Nebel aus der Senke,
Und unsereinem bleibt nur rumzuplärren.
Einst haben Zeus, Apoll und auch der Heiler
Gestritten um den Blitz, den wir erfanden,
Doch alles wird vom Rechner und vom Teiler
Vervielfältigt und ursprungslos den Landen.
Die Zeit der Riesen scheint sich mir zu neigen,
Als Tölpel gelten wir für neue Bräuche,
Drum nimm es hin, wenn dir die Götter schweigen,
Sie sind nicht besser dran in dieser Seuche.

POLYPHEM (tritt mit den Füßen ins Wasser):
Ob es Gesetz des Wandels, der Geschichte,
Ist ohn Belang für einen blinden Schäfer,
Ich bin ein Wrack, entsage ich dem Lichte,
Und wandle grad wie ein betrunkner Schläfer.
Ich bin allein und habe keine Pflege,
Mein Haus und meine Tiere müssen darben,
Drum scheints, als gingen solche beßre Wege,
Die gleich bei einem solchen Anschlag starben.

BRONTES: Du irrst, wenn du das deine so verkleinert
Mir darstellst und im Spiegel des Geschickes.
So mancher ward durch einen Fluch versteinert
Und wahrte doch die Heiterkeit des Blickes.
Gesell den Geist zu deines Leibes Fülle
Und such den Fluch ein großes Glück zu nennen,
Das Stirnaug klebt doch immer an der Hülle,
Daß Blindheit schafft ein reicheres Erkennen.

POLYPHEM: Dies scheint mir ein Rezept für fette Städter,
Wo Weisheit wird getauscht für Wein und Futter,
Hier ist das Leben festgelegt vom Wetter,
Wers nicht erkennt, ein Säugling ist der Mutter.
Hier gibt es kein Bedarf für Träumereien,
Wo Blinde kann nicht Wirklichkeit betrüben,
Kein Opfernder wird mich zum Priester weihen,
Hier nutzts nichts, große Gesten einzuüben.

BRONTES: Dies tut mir leid, vielleicht daß wieder Schiffe
Hier landen und dich mit in Städte nehmen,
Gibts keinen Unterhalt auf diesem Riffe,
So mußt du dich zur Migration bequemen.
Dies tat schon mancher aus der Riesenrasse,
Die nur noch als Kuriosum taugt am Hafen,
Heut zählen nur der Handel und die Kasse,
Es ist vorbei mit Weide und mit Schafen. (Ab.)

CHOROS: Die Heilung ist dem Wundesten versprochen,
Poseidon weiß aus jedem Pfuhl zu retten,
Wir sind als Hauch aus seinem Dunst gekrochen,
Berufen, neu uns in sein Feld zu betten.
Wenn sich der Blinde netzt die wunde Grube,
Mit seinem Speichel, der dem Blut sich mischte,
Das er vergoß, so flackert in der Stube
Der Scheite Stoß, der Dunkelheit verwischte.
Dem Blut, das er vergossen, sich zu mählen,
Kann ihm die Heilung seines Augs bereiten,
Drum soll der Riese nicht die Schrecken zählen,
Statt fröhlich zu dem Liebesmahl zu schreiten.
Die Rachsucht macht ihn blind und deckt Vertrauen,
Wo doch der Gott hat ihn zu Tisch geladen,
Die Klage weiß das Mahl nicht anzuschauen,
Wir fragen: Ißt ein Riese mit den Waden?
Wer zögert, wenn der Braten dampft am Spieße,
Wer sich zu fein, den goldnen Wein zu trinken,
Der ist verdammt zu seinem schwarzen Vliese
Und soll in seinem Klageschwall versinken.

POLYPHEM: Die Stimme, die mir aus dem Wasser brandet,
Weiß nichts als Hohn und Vorwurf für den Krüppel:
Ein Blut, das ich vergoß, ihr Schelme fandet?
Machts Spaß, er strauchle am gelegten Knüppel?
Fraß auch die Wasserweisheit die Gerüchte,
Ich briete meine Gäste zum Genusse?
Daß ich allein vor meiner Untat flüchte,
Scheint euch der Anlaß zu dem Überdrusse?
Auch Brontes meint, ich soll mich darein schicken,
Es sei nun mal der heutge Gang der Zeiten.
Was lohnt es, mit dem Auge zu erblicken,
Wie unsere Feinde zur Zerstörung schreiten?
Da soll ich in den Hermesburgen betteln,
Dem Feinde noch für seine Gnade danken,
Es nervt, sich noch in Klagen zu verzetteln,
Ich werd sogleich ins tiefe Wasser wanken.

GALATHEA: O weh, wer dort? Ist gar der Schreckensriese?
Ich fliehe rasch und laß im Stich die Krüge.

POLYPHEM: Was da? Ist jemand noch auf dieser Wiese?
Ich möchte weinen, das ist keine Lüge.

GALATHEA: Was weinen? Der als Künstler nicht zu schlagen,
Als Raufbold schon mit Blicken breitet Zittern?
Der will mir Mädel allen Ernstes sagen,
Die Trauer wolle sein Gesicht zerknittern?

POLYPHEM: Ich war vielleicht ein Raufbold und ein Macher,
Ein Schmied und habe die Syrinx geblasen,
Doch jetzt entlock ich Publikum nur Lacher,
Ich bleib auch nicht mehr lang auf diesem Rasen.
Es ruft das Meer, daß ich mich drin ertränke,
Es ist gewiß das beste rasch zu sterben,
Doch frag ich mich, wem ich die Herde schenke,
Ich ließe sie nicht gerne im Verderben.

GALATHEA: Was ists, das euch dem Leben zu entfliehen
Verlangt, ists etwa eine späte Reue?
Wie ist euch gram, was Götter euch geliehen?
Man wirft nicht einfach Perlen vor die Säue.

POLYPHEM: Ein böser Feind hat mir mit Glut am Pfahle
Das Aug zerschrammt und ausgebrannt die Wunde,
Dies klage ich gewiß zum letzten Male,
Das beste wärs, ich ginge gleich zugrunde.

GALATHEA: So seid ihr blind und könnt mich gar nicht sehen?
So wißt ihr nicht, wer Wasser schöpft am Flusse?

POLYPHEM: Zur Meeresküste meinte ich zu gehen,
Nun wird mir euer Zeugnis zum Verdrusse.
Ist hier ein Fluß, kein Wellengang am Ufer?
Es ist nicht leicht, das Auge zu entbehren.
So war ich an der falschen Stelle Rufer
Und darf mich über Folgen nicht beschweren.
Es wird erklärlich, daß so lange säumte
Der Gott und mich beschied mit dunklen Chören,
Wer nicht mehr weiß, was war und was er träumte,
Der sucht an Land den Meergott zu beschwören.

GALATHEA: Ich glaube gern, daß ihr das Aug verloren,
Wähnt ihr euch leibhaft jetzt am Meeresstrande,
Doch nach dem Hades sehnen sich nur Toren –
Der Pfahl traf euch nicht etwa im Verstande?

POLYPHEM: Was ist das für ein Fluß, an dem ich stehe?
Er führt gewiß auf kurzem Weg zum Strande?

GALATHEA: Der Acis ists, begründet von dem Wehe
Des Jünglings, der verblutet hier im Sande.

POLYPHEM: O weh, so klagte ich Odysseus' Frevel
Am Orte meiner eignen Mörderschande,
Wohl besser richte mich der Ätnaschwefel,
Dahin ists Blut zu folgen außerstande.
Ich hab des Jünglings Tod auf dem Gewissen,
Das Mädchen, das mein Werben nur verlachte,
War ihm gar hold und allezeit beflissen,
Dies wars was mir den Zorn zum Dämon machte.
Vielleicht muß ich jetzt büßen dieses Bluten,
Wie selbstgerecht war meine laute Klage,
So waren es am Ende doch die Guten,
Die Zeus gesandt in meine lichten Tage?
Erinnyen, hundsbekopft und fledermäusig
Geflügelt scheinen mir die fremden Gäste,
Und ich, in einer Schlächterstätte häusig,
Hielt Hochmut fürs gerechteste und beste.
Wie konnt ich mich in solchen Wahn versteigen,
Da das Orakel wußte es doch besser,
Statt daß ich Demut oder Reue zeigte,
Gab ich dem Rächer selbst das Opfermesser.
Wie unverschämt wars Götter zu bedrängen,
Sie sollten mir den Schaden rasch ersetzen,
Wie bös, Verfolger an das Schiff zu hängen,
Ich hoffe bloß, sie könnens nicht verletzen.
Ich muß Odysseus danken und bekennen,
Mein Stammbaum ist im Grunde roh und böse,
Er mußte mir das helle Aug verbrennen,
Damit ich mich von dem Geschlechte löse.
Drum hat man mir vernunftgemäß geraten,
In meiner Schuld ists einzig angemessen,
Als Bettler sich vor jedermann zu beugen,
Ich will kein Brot mehr ohne Reue essen
Und immerfort für mein Verbrechen zeugen.
Dies soll geschehn mit einem Blindenhunde,
Was eigen mir, das sei des Opfers Sippe,
Das gleiche gelt für meiner Ahnen Funde
Und allen Schmuck, der klebt noch am Gerippe.

CHOROS: Der Sterbliche kann untergehn und fallen
Viel tiefer als ein Schwert vermag zu stoßen,
Der Selbsthaß läßt ihn Marterzeuge krallen,
Und schlagen auf den Hintern auf den bloßen.
Ihm reicht Zerstörung nicht im eignen Leben,
Auch seine Ahnen weiß er zu verlästern,
Er will dem Feind sich tausendmal ergeben,
Und flucht, wie schändlich sei sein ganzes Gestern.
Die Schandsucht ist der Ehrsucht schlimmre Schwester,
Sagt ihr ein Arzt, die Schuld sei übertrieben,
So schlägt der arme Kranke nur noch fester
Auf seinen Leib, der grade noch geblieben.
Sie führt zumeist zum Tod durch Herzversagen,
Doch auch die Lenden sind nur da zum Kränken,
Denn alle, die sich mit der Seuche plagen,
Wolln ihrem Stamme keine Erben schenken.
So werden die noch Kranken immer älter,
Denn keine Jugend gibts noch anzustecken,
Doch wird der Selbsthaß mit den Jahrn nicht kälter,
Man findet neue Schuld an allen Ecken.
So tobt der Wahn, bis das Geschlecht verendet,
Die einen lachen und die andern heulen,
Denn niemand wird so ärgerlich geblendet,
Wie dieser Züchter seiner Eiterbeulen.

GALATHEA: Abwegig, daß Odysseus kam gefahren,
Zu richten euren Totschlag an dem Jungen,
Er schien mir gänzlich, ob auch jung an Jahren,
Von dem, was er Mission genannt, durchdrungen.
Er sagte, daß Kyklopen Menschenfresser,
Man säh, daß euch der Speichel quell im Munde,
Hier sirrten alletags die Schlächtermesser,
Weil euer Volk der Menschenfeind im Grunde.
Er müsse Tier und Menschheit vor euch schützen,
Euch selber auch vor eurem kranken Hirne,
Dies würd dem Frieden und der Wohlfahrt nützen
Und wär seit je der Wille der Gestirne.

POLYPHEM: O weh! ich habe frevlerisch vergessen
Die gräßlichen Verbrechen, die ich wagte,
Ich jagte nach dem Unheil wie versessen,
Und sann, wie ich die Um- und Mitwelt plagte.
Von Sünden hat man oft und viel vernommen,
Doch meine sprengen jedes Maß und Siegel,
Wär mir das Aug nicht jüngst abhand gekommen,
Zerbirst vor meinem Schandenblick der Spiegel.
Wer so verderbt ist wie Kyklopenschäfer,
Braucht bis zum Tod die Morgenprügel täglich,
Denn einzig als ein halsschildloser Käfer
Ist solch ein Monster für die Welt erträglich.

GALATHEA: Die harte Spitze hat das Hirn getroffen,
Solch Unmaß der Bezichtigung beleidigt
Den Gott, dem seine Kinder Stolz und Hoffen
Und der sie durch der Zeiten Wahn verteidigt.
Es gibt für sie kein unverschämtres Lästern
Als Schuld, die sich Verzweiflung angedichtet,
Darum bedenkt, wie fühltet ihr euch gestern,
Bevor der Feind das Übel angerichtet.

POLYPHEM: Als ich noch sah, war ich unendlich blinder,
Und für die Welt ein schändliches Entsetzen,
Ich sprengte jedes Maß als Menschenschinder
Und sang und tanzte froh beim Klingenwetzen.
Den Wein hab ich verachtet vor dem Blute,
Ich tranks und schmatzte voller Wohlbehagen,
Ich schlug die Schädel auf mit frischem Mute,
Und selbst den Kindern ging es an den Kragen.
Nach Frischfleisch suchte spät ich und am Morgen,
Hab selbst die Schafe noch damit gemästet,
Zum Untergang der Menschheit so zu sorgen,
Hat meine Art den Himmelskreis verpestet.

GALATHEA: Was ist zu tun, um solche Sucht zu heilen,
Die ärger ist als mir der Tod des Lieben,
Einst wollt ich diesen Wüterich zerteilen,
Doch nichts als Mitleid ist davon geblieben.
Wenn er mit solchem Fluche auf den Lippen
Verstürbe, wärs den Göttern Niederlage,
Ein Schmerzlied säng die Woge an den Klippen,
Ein Todeslied von Untergang und Klage.
Poseidon selbst muß das Verhängnis bannen,
Sonst falln Kyklopen, Nymphen und die Insel,
Dann kommen bald die segelfrohen Mannen,
Zu feiern das verebbende Gewinsel.

POLYPHEM: Was redet ihr für krauses Zeug vom Heile,
Das Heil verwalten jetzt die reichen Griechen,
Und was man dafür hielt vor guter Weile,
Das soll im Staub für immerdar versiechen.
Daß die Kyklopen gingen eigne Wege,
Erwies die Menschenfresserei als Schande,
Darum sich Nacht auf diesen Stamm jetzt lege,
Nur um zu büßen, sind sie noch im Lande.
Den Griechen gebt die Insel zu verwalten,
Sie lehren euch die gültigen Methoden,
Und wer da noch ein Gran bewahrt vom Alten,
Dem nehme man die Augen und die Hoden.

GALATHEA: Es reicht, das ist für mich nicht auszuhalten,
Ich geh und trag den Wasserkrug von hinnen.
Ich schaff es nicht, den Schwachsinn abzuschalten.
Fahrt fort, an euerm Galgenstrick zu spinnen! (Ab.)

POLYPHEM (nach einer Pause):
Zum Meer, zum Krater, ach wozu die Mühe,
Ein jedes Wasser ist mir gut zum Tode,
Es intressiert die Schweine wie die Kühe,
Von welcher Melodie ich der Rhapsode.
Schluß mit Geschwätz, das Urteil ist gesprochen,
Der Acis sühne rasch als milder Henker,
Wer das Gesetz des Lebens hat gebrochen,
Beleidige die Dichter nicht und Denker.
(Er versinkt ganz im Wasser, dann in jäher Wende paddelt er zum Ufer und sinkt erschöpft zu Boden.)
O was ist das? Wie netzt mich diese Kühle
Verwandelnd und verschreckend unvergleichlich?
Wie schlägt der Puls mir wie im Sturm die Mühle?
Welch Schicksal zeigt sich mir da unausweichlich?
Das Blut, das ich vergoß einst von dem Jungen,
Vermischt dem reichen Speichel meines Vaters?
Kam nicht dies Wort aus Meeresdämmerungen
Als Botenwort dem Choros des Theaters?
(Eine dichte Nebelwolke hüllt ihn ein.)

CHOROS: Der Königsweg zum Heile und zum Wunder
Bleibt stets das Opfer, weiser als die Winke,
Manch andre Wege scheinen dir profunder,
Jedoch der Fluß befreit dich von der Schminke.
Ihn anzurufen läßt dich vor der Türe,
Allein ein Bad vermählt dich seinem Segen,
Was dir bestimmt und was dem Leib gebühre,
Wird Innigkeit in deine Furchen legen.
Nicht ist der Schuld ein gottgeliebter Tilger,
Die Suhle im erfundenen Verbrechen,
Drum sei willkommen als der Wasser-Pilger
In neugehellten Horizont zu stechen.
Der Gott beschämt die mürbgewordne Rasse,
Die nicht mehr fähig schien, den Feind zu halten,
Daß sie den Stab des Hirten fester fasse,
Schien nötig, seiner Heiler-Macht zu walten.
Die Seuche, die wir vorhin Schandsucht nannten,
Erstickte alle Kunst und alles Wissen,
Ein Aug nicht nur die Gäste hier verbrannten,
Sie haben hier die Wurzel ausgerissen.
Drum hüte sich ein jeder vor den Bringern
Des Heils, des Wohlstands und der guten Sitten,
Sie nennen selber sich nach Löwenzwingern,
Und geben niemals preis, was sie erstritten.

POLYPHEM: Es ist so licht, so dunkel unermeßlich,
Ich glaub, ich kann mich gar nicht mehr erinnern,
Bin ich ein Narr? Und bin ich einfach häßlich?
Verlor ich viel? Gehör ich zu Gewinnern?
Poseidon, dessen Nymphen uns umschmeicheln,
Er zeigt sich manchmal lieblich, mal als Fratze.
Wühln wir wie Schweine nach versteckten Eicheln,
Und lauern wir wie auf dem Ast die Katze?
Mir scheint das Leben dunkel und verstiegen,
Seit es mich so mit Helligkeit umflutet,
Mir träumte da von grausamstem Bekriegen,
Und daß für mich ein Mädchenherz verblutet.
Daß Feinde kommen übers Meer gesegelt,
Ein Niemand, der so stolz auf seine Leere,
Jedoch der Dunkle ballspielt oder kegelt,
Und jedes Ziel macht einer Gottheit Ehre.
Das Licht befreit uns aus der Welt der Schatten,
Wo wir wie Falter uns verzehrn im Blute,
Im Labyrinth muß alle Tat ermatten,
Denn selbstverständlich gibt sich uns das Gute.
Wer nachdenkt über Dinge, die das Leben
Ihm nicht bestimmt und gütlich hat verhangen,
Berauscht sich stärker als an Mohn und Reben,
Und bleibt in einem Spiegelsaal gefangen.
Welch Gnade, einmal daraus aufzuwachen!
Welch Mahnung, solches nicht mehr zuzulassen!
Das Leben heißt, den Narren zu verlachen,
Dems nicht gegeben, auf sich aufzupassen.
Ich weiß, der Wolf hat mir ein Schaf gerissen,
Es gilt, daß einer nach dem rechten schaue,
Mein Hund, mein Herd, sie werden mich vermissen,
Gar fürchterlich wirds ausschaun in dem Baue.
Da fällt mir ein, ein Schädling sehrt die Reben,
Der Habicht kreist, wie ich jetzt deutlich sehe,
Er mahnt, mit Freimut und Verstand zu leben,
Daß ich nicht naß im offnen Winde stehe.

CHOROS: Es ist nicht Ziel der Götter, aufzuhellen
Die Nebel, die den Sterblichen umschlingen,
Doch stehn ihm bei die Dunkleren und Hellen,
Vermag er seine Feinde zu bezwingen.
Das Opfer öffnet alle Wolkenpforten,
Und manche Untat wird mit Wohl verwunden,
Was augenscheinlich nicht und nicht mit Worten
Zu sagen, hält das reine Herz gebunden.
Mysterien sind nicht Dinge fremder Welten,
In jedes Schicksal wissen sie zu treten,
Doch Fälschungen sind meist, die dafür gelten,
Drum findst du Wunder sicherer im Steten.
Was schäumt und flutet will den Geist bezwingen,
Was ruht, hat teil am allerfrühsten Heile,
Drum wird dem Volke nie ein Werk gelingen,
Das sich vermählt mit einer großen Eile.
Nur wer die Wege schritt viel tausend Male,
Und nicht verlangt, daß ihm ein kürzrer würde,
Der schaut zuletzt den großen Stern im Tale
Und spürt: die Götter teilen seine Bürde.