|
Aus »Die alte Linde. Zweites Buch«. Gedichte 2013 Vers 42385 bis 42501 TASSILOS TRAUM Daß unter einer Linde Der Traum kein Märenborn, Daß Lindenschatten finde Im Sand das goldne Korn, Daß man den lind geschneiten Nachtboten nicht verlacht, Das gilt seit alten Zeiten Bei Schlichten wie Gescheiten Verbürgt und ausgemacht. Daß unter Lindenblüten Im Duft, der vieles heilt Nicht nur die Heiden brüten, Nicht nur der Albe weilt, War sicher frommen Rittern Wie Christus und Marie, Was schützte bei Gewittern, Das barg in seinen Splittern Auch höchste Prophetie. Drum ist es nicht Legende, Daß, eines Traums gewahr, Der Herzog hob die Hände, Weil Hohes offenbar, Daß er gewiß nicht säumte, Zu rufen guten Rat, Daß alles, was er träumte, Die Hoffnung nicht verleumde, Ihm folge nun die Tat. Ob dies der Baum beweise Der wie die Hyder fußt? Es rät die weite Reise, Daß du im Schatten ruhst. Wer weiß, wie er dem Schlummer Nach welcher Zeit erwacht? Doch unter diesem Brummer, Scheint dir der Plan kein dummer, Zu ruhn die ganze Nacht. Es danken sich Gedichte Dem Traum wie Kubla Khan, Daß sich das Dunkel lichte, Zu wünschen scheint ein Wahn, Doch wer wie einer Amme Dem Lindenbaum vertraut – Ein Mündel in der Schramme, Die aufgetan im Stamme – Gewißlich Großes schaut. Der Herzog war mit zweien Der Treusten auf der Jagd, Doch schien das Glück zu seien Die flatterhafte Magd, So ging der Tag zur Neige, Den Pfad das Dickicht fraß, Daß er sich endlich zeige, Tassilo bog die Zweige Und setzte sich ins Gras. Er schaute eine Linde So fürstlich und so froh, Daß er sich ließ dem Kinde, Das fragt nicht wie und wo, Wenn es im Mutterschoße Von Fragen noch verschont. Er wußt nicht, als ins Bloße Er trieb, daß alles Große Bescheidenheit belohnt. Er sprach zu seinen Fergen, Es sei zu ruhn die Zeit, Die Jäger möge bergen Die Lindenhohle breit, Er halt die erste Wache. Dies ließen sie nicht zu. So fand er unterm Dache Wies sonst nicht seine Sache Höchst tiefversunkne Ruh. In seinem Traum drei Quellen, Kristallen klar und rein, Sieht er und wie die Wellen Sich treffen zum Verein, Wo eine Himmelsleiter Die Engel gehn geschickt Zur Linde mit dem Reiter Und dann durch Wolken weiter Dorthin, wo Petrus blickt. Als morgens sie bedachten, Ob dies ein Fingerzeig, Ob solcherart Umnachten Verglüh am Sonnensteig, Rief einer der Begleiter, Es könne schaden kaum, Man such die Quellen heiter, Und wenn die Suche scheiter, So wärs halt nur ein Traum. So ließen sie das Grübeln Und kämmten durch den Hang, Denn ärgstes von den Übeln Ist Zögern allzulang, Obs lag am Morgenhellen, Ob dran, daß frisch gewagt, Sie fanden alle Quellen Und nämlich an den Stellen, Die nachts vorhergesagt. Sie lobten Gott und bauten Schon bald ein Kloster da, Daß seinem Angeschauten Sei Dienst und Demut nah, Die Linde, Schirm und Pforte Zu der Vision, die weist Zu dem geweihten Orte, Und die noch nicht verdorrte, Tassilolinde heißt. Sie wäre fast verschwunden, Als man das Kloster schliff, Doch hat sich wer gefunden, Der in die Tasche griff, Der kaufte als Privater, Die Klostermauern freuts, Den Hain samt visi mater, Damit das Welttheater Auch heut der Traum durchkreuz. |