Willkommen

Lebenslauf

Aktuell

Werke

Publikationen

Audio

Leserstimmen

Besucherbuch

Impressum
 
voriges Gedicht nächstes Gedicht

Aus »Gefangener Schwan«. Gedichte 1984   Vers 1323 bis 1392

HERMES


I

Er steht am Wegrand wie vor langen Jahren,
Gealtert nicht und trägt dieselben Kleider,
Als wär, was Zeit seit jener Zeit erfahren,
Geträumt und er Beweis der Einheit beider.

Jedoch er kennt mein Auge nicht, wie sollte
Er auch mein fremdes Wort verstehn, dasselbe
Nicht mehr, das einst am Uferweg der Elbe
Zerfließend alle Zeit zerbrechen sollte.

Er ist ein andrer, doppelt mir verloren,
Wenn dieser ist, ward jener nie geboren,
War jener, dann ist dieser Trug und List.

So mag es sein und mag dem Schalk gefallen,
Dem sich die Wasser auf den Händen ballen,
Der uns in Wolken hebt und dann vergißt.


II

Ich schwang mich ein und schnürte die Sandale
Mit Leichtsinn, unter Sterblichen vonnöten,
Und Jugend, ihren dumpfen Trott zu töten,
Versöhnte Spiegelbild und Opferschale.

Du aber klagst den Nattern nach am Weiher,
Die sich in Häuten, kaum vertrauten, ringeln,
Du forderst, und ich soll dein Herz umzingeln,
Und doch erträgst du Lohe nicht und Leier.

Wenn ich entschwand, so preist du meine Gilde
Und fertigst all den deinen Kunstgebilde
Und haschst nach dunklen Faltern, mir vertraut.

Jedoch ich hadre nicht mit meinem Amte,
Gefällt mir doch, daß der zum Staub Verdammte
Allein in mir sein eignes Antlitz schaut.


III

Du Wankelmut, der aus den Himmeln brandet,
Du Hirte aller Untreu Gram und Gnade,
Wer rief die Leier dein, als ihr Gestade
Der ausgestreckten Hände wiederfandet?

Wie lieb ich deinen Gang, die Wolkenpfade,
Daran die Zeit und ihre Prüfung strandet,
Zwar bin ich nicht auf dem Olymp gelandet,
Doch Federflaum gedeiht an Zeh und Wade.

Ich fülle die Quadrate mit Parabeln,
Such Geist und Trieb von Gaia abzunabeln
Und will als Gott, was ich begehr, beschlafen.

Doch überträf ich auch in Fahrt und Fabeln
Dein Reich, der Punkt, da sich die Pfade gabeln,
Blieb dein und ich nur eins von deinen Schafen.


IV

Wir gleichen lautlos eingefangnen Schwänen,
Die sich durch unsichtbare Gitter zwängen,
Die Stunden ziehn durch Müdigkeit und hängen,
Zerbrochnen Rudern gleich, aus morschen Kähnen.

Wir spielen Würfel und mit Drachenzähnen,
Und Haschisch soll die Düsternis verdrängen,
Wir pokern und wir tun, als ob wir sängen
In Trauer und mit kaum verhaltnen Tränen.

Wie unbewacht sind Harfe, Laute, Leier,
Wer weiß, ob dieser allerlängsten Feier
Ein derber Schalk nicht Requisiten tauscht?

Ob er nicht stolz und schadenfroh vernichtet,
Was sich schon lange satt hat und gerichtet,
Die Nächte, künstlich, welk und aufgebauscht.


V

Er jagte sommers nach den Schwalbenschwänzen
Und staunte, wenn sich einer jäh verfing,
Verließ die Armut vogelfrei und ging
Verwandlungshungrig über seine Grenzen.

Sein Talisman verriet im Fieberglänzen
Die hohe Kunst und das Orakel: schwing
Dich mit dem Traum und rühr den Siegelring!
Er stahl sich frei in überlangen Tänzen.

Er hat der Erde Drachenbauch geschwärzt
Im Nordlicht, das geheime Wege weist.
Als Meisterdieb, der mit den Bildern scherzt,

Blieb er die Galerie, und Wasser gleißt,
Auf dem Parkett, das allen Sturz verschmerzt
Und auch den körperlich gemachten Geist.