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Aus »Fliederblüten«. Gedichte 1981   Vers 1063 bis 1110

ENDYMION


Die Sonne sinkt in goldigem Verneigen,
Die Luft bewegen blütenschwere Winde
Voll Wein und voller Abgesang im Schweigen
Des Tags und seiner sprödgewordnen Rinde.
Ich bin ein Schwärmer und vertrau dem Reigen
Des Dämmers, daß ich Hain und Holder finde.
Am Felsvorsprung die Inschrift dunkler Worte,
Ein sanfter Schauder hütet diese Pforte.

Ich trete ein. Die weit gewölbten Hallen
Verräterischer Blicke mir entstreben.
Ich ahne ihn. Ein seltsames Gefallen
Läßt Unberührtes deutlicher erleben:
Sein elfenbeiner Leib, die sanften Krallen
Der Kräuter, die aus den Essenzen schweben,
Und was gereift, im Äther sich zu mischen,
Der Schlange schmeichelt auf gedeckten Tischen.

Die alterslose Jugend, die im Schlummer
Sich breitet, muß dem Monde wohl behagen.
Dem Kommenden entsag und seinem Kummer,
Dem klammen Bangen und dem bittren Klagen!
Im Dämmer ist der Duldende kein Dummer
Wie jene, die dem Trug des Lichts erlagen.
Drum lausch dem Tropfenfall im Salzgefunkel
Und singe Hymnen über Nacht und Dunkel.

Den reinen Traum soll niemals Licht verstören,
Wer reich ist, kann im Tausche bloß verlieren,
Wo alles unscharf schwebt, dir zu gehören,
Wird selbst die Wunde Weiß und Unschuld zieren.
Ich zweifle, ob die Küsse mich betören,
Ob diese Welt von ausgestorbnen Tieren,
Ein Reich sei, drein ich mich am Ziele bette?
Ob ichs nicht grad herbeigerufen hätte?

Der Schläfer ist ein Spiegel für den Wachen,
Ein Bronnen, der den Badenden als Quelle
Sich läßt erfahrn. Was schenken will und fachen
Verwandelt sich an des Beschenkten Stelle,
Und also heißt der Traum mich Träume machen
Vom Stoffe, der besiegt das lieblos Helle,
Weil ihm gewiß, daß Wunder, zu begehren,
Nur aus dem nächtlich Willenlosen kehren.

Und doch! der Morgen sticht durch Zweig und Spalte,
Ein Degen, alles Heimelnde zu morden!
Kein Aufschub, der den Sonnenwagen halte!
Kein Trug, daß es im Hain nicht hell geworden!
O Jugendglück! ich bin der schartig Alte,
Der schrullig wirkt in seinem Überborden.
Die Götter meiden Müh und Tags Gewimmel,
Allein die Nacht macht günstig uns den Himmel.