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Aus »Fliederblüten«. Gedichte 1981   Vers 661 bis 730

STUNDE VOR TAG


I

Du segeltest im Land, wo sandverschneit
Maßloser Götter Tempel ausgestreckt,
Zu hoch, als daß dich meine Stimme schreckt,
Die letzte Lust aus dem Vergessen schreit.

Den Fittich und dein Traumgesicht versteckt
Kein Wolkenschlaf, in Nebelländern weit,
Du sahst die Schatten deiner Einsamkeit,
Ich deinen, der den Wüstensand befleckt.

Und alles, was mir, dir zu sagen, war,
Erreichte dich im Traum und wunderbar
Erschien es dir, wie Leben, einst gelebt.

Und meine Glieder wurden leicht, Gefahr
Vergaß ich, und ein Strom, der blau und klar,
Schwoll an, bis er den toten Körper hebt.


II

Im Hochgebirg steht Wasser frühlingsfarben,
Ein Spiegel, der geritzt von Felsenbrocken,
Ich wandelte, verführt von blonden Locken,
Auf schmalem Sims, wo Traurigkeiten starben.

Das Wasser zeigt sich grünlich und berandet
Von geisterhaft geformtem, scharfem Strich,
Daran es dauernd, weiß und fürchterlich
Verschweigend in die tiefern Nebel brandet.

Hier ist der Stunden schwerer Gang entmachtet,
Die Träumer fliegen lautlos aus und ein,
Und keiner, der Erinnern draußen spürt.

Doch einmal bleibt vom hohen Grat, umnachtet,
Im Schuh, der dich am Morgen drückt, ein Stein,
Der dich zurück ins das Geheimnis führt.


III

Was ist das für ein Morgen, der den Schönen
So glanzlos macht, so grau und ohne Wesen,
Doch mehr als Gram ist Müdigkeit zu lesen
In Augen, die den wachen Tag verhöhnen.

Er konnte nicht zur Hirtenflöte werden,
Sich nymphenhaft in ein Getön verzaubern,
Es blieben ihm ein Schreien nur und Schaudern,
Bis ausdruckslos verging auch dies Gebärden.

So schmolz er hin zu einem Wüstenflusse
Und wälzt sich ölig weiter noch zur Mulde,
Vergißt, daß er den großen Schmerz erdulde

Dem Gott zur Freude, der im Überdrusse
Sein Herz entließ, und nur wie eine Sage
Vernimmt man seine unerhörte Klage.


IV

Erhoben hab ich mich auf schroffen Steinen,
In die der Fluß die Heimat sich geschürft,
Als kurz er aus Jahrhunderten mir seinen
Vertrauensvollen Gruß entgegenwirft.

Ein Wind verfolgt durch diese Landschaftskerbe,
Die bald sich etwas lichtet, bald sich drängt,
In ihm liegt Gift, ich sehne, daß ich sterbe,
Als Opfertier von ihm im Fluß versenkt.

Doch hör ich leise sprechen den des breiten
Gewässers Jäger, der schon ewig jagt
Und flüstert einen Bruchteil der Sekunde:

Ich werde, was du vorhast, nicht bestreiten,
Doch vordem sei ein Wunsch mir zugesagt,
Die Wasser dir zu Füßen hier umrunde!


V

Der Engel träumt. Sein Fliederblütenkranz
Bewahrt den Duft der Hand, die weinend flocht.
Und Blut in seiner weißen Schläfe pocht,
Die Geigen spielen auf zum letzten Tanz.

Und Brunnen randbeschneit in Stille warten,
Mit patriarchisch weißem Haar bekrönt.
Der Engel seiner tiefsten Neigung frönt:
Er träumt von Flieder, weiß wie Schnee im Garten.

Kein Wind stößt müde Luft aus ihrem Harren,
Die sich der Grubendunkelheit entwöhnt:
In Träume fallen Engel, fallen Narren.

Die Schwalbenbotschaft durch die Gärten tönt,
Und Augen, die nun aus den Dingen starren,
Sind kurz mit Gott und seiner Welt versöhnt.