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Aus »Idäisches Licht. Erstes Buch«. Gedichte 2006, Vers 10623 bis 10662

AQUARELLKUNST


Göttliche Leichte, dem Wort des chinesischen Weisen
Folgend, daß Weichstes die härtesten Dinge besiegt,
Wer dies beherzigt, der folge nicht Schienen von Eisen,
Sondern dem Traum, der uns anrührt und dabei verfliegt.

Tupfend, lavierend im Reich der verfließenden Wasser,
Marderhaar, das seine Kräfte aufs äußerste zähmt,
Stellt er sich zwischen den Täter und den Unterlasser,
Daß alles Trotzen am Ende mit Reinheit beschämt.

Nichts ist berechenbar, aber es gelten Gesetze,
Drin sich das Licht in der Abfolge jeder Lasur
Spaltet und mischt, daß der Spinne im eigenen Netze
Gleicht der Demiurg, dem der Wille geriet zur Natur.

Lehrt den Titan so die Demut die Allmutter Erde,
Weiß doch der Sieger, der jegliche Willkür verschweigt,
Selbst das Mißglückte, die ungewollt rasche Gebärde
Zeigt sich als Pfad in dem Garten, der alle verzweigt.

Träume, die also verschachtelt sind unter den Tönen,
Dunkles und Leuchtendes, das ihm die Farbe erschließt,
Sollen sich Reinheit und Mischung im Wasser versöhnen,
Frühstes im Späteren aufscheint und wieder verfließt.

Ob die Gestalter der Augenlust farbenfroh schmeicheln,
Durchscheint gewiß, was man anfänglich vorsichtig zog,
Sichtbar verborgen, so wie in den trockenen Eicheln
Ganz ist der Gott, der die wispernden Baumwipfel bog.

Alles ist Anfang, es gibt kein Zurück, wo das Fließen
Feuchtester Balz seinen Sinn und sein Hoffen gewann,
Mag sich der Denker dem Randübergreifen verschließen,
Tritt doch der Zeichner stets keck an die Gorgo heran.

Wer den versteinernden Blick allen Schreckens beraubte,
Wer seinen Willen der Härte des Marmorblocks stellt,
Fordert die Faser so lind, wie die Schlange verstaubte
Tempel durchgleitet als Königin über der Welt.

Leicht ist sein Strich in Erwartung von gröberem Walten,
Er, der sich spielerisch Statuen in seinem Geist
Nähert im Feuchten, wie Leben die ersten Gestalten
Zeugt, noch bevor es dem Himmel die Ehre erweist.

Hart ist die Sonne und jäh der Triumph jeden Morgen
In einer Welt, wo sie alles mit Schwertschärfe trennt,
Bis sie im Wasser, vom Pinsel mit Sanftheit geborgen,
Weich und verweiblicht den glücklichen Meister erkennt.